Es gab eine Zeit, als das Internet noch piepste und als der Netscape Navigator der führende Browser war: die 1990er-Jahre. Damals schuf die Russin Olia Lialina ihr Werk «My Boyfriend Came Back From The War», Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen, kurz: «MBCBFTW». Die Arbeit, die 1996 online ging und damit seit 20 Jahren besteht, ist ein zentrales Werk innerhalb der künstlerischen Szene im Internet der 1990er-Jahre.
«Die Arbeit hat Pioniercharakter – als interaktive Erzählung ebenso wie als Werk der Netzkunst», sagt Sabine Himmelreich, Kuratorin im «Haus der elektronischen Künste» in Basel. Olia Lialina hatte als Erste den Webbrowser als künstlerisches Ausdrucksmittel erkannt. Und sie schuf mit der Form der interaktiven Erzählung die Möglichkeit, den Betrachter direkt an der Arbeit partizipieren zu lassen. Dies war 1996 keineswegs üblich.
Endlose Gesprächsvariationen
Inhaltlich greift die Arbeit das Gespräch eines Paares auf, das versucht, über einen vergangenen Krieg zu sprechen. Erzählt wird die Geschichte in Schwarz-Weiss-Bildern, GIF-Animationen und Texttafeln. Je nachdem, worauf der User klickt, verläuft die Geschichte anders.
Seit «MBCBFTW» online ging, sind zahlreiche Adaptionen des Originals erschienen. Sabine Himmelreich kann nur mutmassen, warum die Arbeit so viele Künstler inspirierte: «Die Themen der Geschichte – Liebe, Treue und Vergebung – sind zeitlos, sie berühren die Menschen bis heute.» Aber auch die Form der interaktiven Erzählung, die eine schier endlose Variation des virtuellen Gesprächs möglich macht, habe die Künstler wohl fasziniert.
Aktuell stellt das «Haus der elektronischen Künste» 13 Versionen aus den letzten 20 Jahren vor – und diese zeigen sehr schön, wie sich die technischen Möglichkeiten und mit ihnen das Internet in den vergangenen Jahrzehnten veränderten. Ein Best-Of:
Harvey & Samyn: «Her Boyfriend Came Back From The War» (2000)
Das belgische Künstlerduo Auriea Harvey & Michäel Samyn zündet vier Jahre nach dem Entstehen des Originals eine neue Stufe der Netzkunst: «MBCBFTW» als interaktive Flash Animation. Denn damals sah es so aus, als würde Flash alle vorherigen Formate und Protokolle des Webs ersetzen.
Abe Linkoln: «My Boyfriend Came Back From The War» (2004)
Vier Jahre später transformiert der US-Amerikaner Abe Linkoln Text und Bilder des «MBCBFTW»-Originals in ein Blog. Die einzelnen Frames werden zu Posts, die zahlreiche Reaktionen generieren. Das ergibt kuriose Zusammenhänge: zwischen Originaltext und Spam-Nachrichten, zwischen Geschichte und aktuellen Themen. Willkommen im Zeitalter des Web 2.0!
Guthire Longeran: «Burgers» (2012)
Die neuen Möglichkeiten in Netz generieren verrückte Ideen – wie das Hamburger-Projekt von Gutherie Lonergan. Der Künstler stellt Türme aus Hamburgern nebeneinander, die sich beim Berühren des Bildschirmes vervielfachen. «Burgers» eine inhaltlich völlig anders gelagerte Arbeit als das Original. Nur die vertikale Strukturierung des Bildschirms erinnert (entfernt) an die Arbeit von 1996.
Freya Birren: «M.B.C.B.F.T.W» (2012)
Eine, die sich explizit auf das Original bezieht, ist Freya Birren. Ihre Arbeit ist ein Film in Super-8-Ästhetik. Mittels beschriebener Post-its beschreibt eine Frau die Situation, als ihr Partner aus dem Irakkrieg zurückkehrte. Freya Birren seien die Tränen gekommen, als sie die Arbeit im «Haus der elektronischen Künste» präsentierte, sagt Kuratorin Sabine Himmelsbach. Kann man verstehen: Nie war der Satz «I love you» beklemmender, als auf diesen Post-its.
Anna Russett: «My boyfriend live-tweeted the war» (2014)
2014 – Twitter ist längst im Mainstream angekommen – übersetzt Anna Russett den Originaltext von «MBCBFTW» in die Sprache heutiger sozialer Netzwerke. Sie sammelt Tweets, deren Inhalt mit den jeweiligen Frames von Olia Lialina übereinstimmen, und setzt sie in eine neu gestaltete Frames-Webseite.
Inbal Shirin Anlen: «My Place or Yours» (2015)
Die jüngste Adaption von «MBCBFTW» basiert nicht etwa auf Instagram oder Snapchat, im Gegenteil: Sie orientiert sich sehr stark am ursprünglichen Werk – sowohl in der Machart des handgeschriebenen HTML-Quellcodes als auch in der formalen Struktur. «Mit der Frage ‹Zu mir oder zu dir?› rückt Inbal Shirin Anlen die sexuelle Konnotation in den Vordergrund», erklärt Sabine Himmelsbach.