Es beginnt mit einer Idylle, mit einer Familienszene im ländlichen Sudan. Ein kleines Kind bittet seinen Grossvater, ihm ein paar Früchte vom Baum zu pflücken. Der betagte Mann steigt auf einen wackligen Stuhl – und stürzt. Ein Drama.
Liebe, Intrige, Betrug
Wir sind mitten in einer Soap Opera. Produziert hat sie nicht etwa eine Filmgesellschaft – produziert wurde sie von Wissenschaftlern am Lehrstuhl für Ökonomie der Universität Zürich, zusammen mit Künstlerinnen und Künstlern im Sudan.
In der dramatischen Familiengeschichte hat alles Platz, was zu einer guten Soap Opera gehört: Liebe, Intrige und Betrug. Doch der Film ist auch Gegenstand einer Studie.
Denn so ganz nebenbei geht‘s in den Diskussionen der Grossfamilie auch darum, ob eines der Mädchen beschnitten werden soll.
Die Forscher der Universität Zürich wollten mit dem Unterhaltungsfilm testen, ob die Einstellung der Zuschauer gegenüber unbeschnittenen Mädchen nach dem Film positiver ist.
«Sanfter Ansatz»
Das Thema Mädchenbeschneidung platzierten sie ganz bewusst in einer Nebenhandlung des eineinhalbstündigen Herz- und Schmerzfilms, sagt Sonja Vogt, Soziologin am Lehrstuhl für Ökonomie und Erstautorin der Studie: «Wir haben dieses Format gewählt, weil wir mit diesem sanften Ansatz jene Menschen, die Mädchenbeschneidung unterstützen, nicht abschrecken wollten.»
Dokumentarfilme hätten in der Regel eine Selbstselektion zur Folge. Das heisst: Es schauten sich nur die Menschen so einen beschneidungskritischen Film an, die ohnehin gegen Beschneidung seien.
Blick durchs Schlüsselloch
Eine Soap-Opera aber sei pure Unterhaltung, und das Bedürfnis nach Unterhaltung sei enorm gross: «Deshalb wird in unserem Film auch kein Mädchen beschnitten. Es fliesst kein Blut. Es stirbt kein Mädchen. Sondern die Grossfamilie diskutiert, was für und wider die Beschneidung eines Mädchens spricht. Die Zuschauer können quasi durchs Schlüsselloch schauen und sehen, wie andere Familien das Thema diskutieren.»
Die Argumente dieser Diskussion innerhalb der TV-Familie wurden zuvor von sudanesischen Wissenschaftlern zusammengetragen. Denn die Argumente für die Tradition der Mädchenbeschneidung unterscheiden sich je nach Region.
Selbst innerhalb von Gemeinschaften seien sich nicht immer alle einig, sagt Vogt: «Wir waren selber sehr überrascht, wie weit die Meinungen zum Beispiel im Sudan auseinandergehen. Sogar in Grossfamilien seien manche Mädchen beschnitten und andere nicht.»
Verschiedene Versionen
Diese Vielfalt der lokalen Argumente habe man sich bewusst zunutze gemacht. Der Film sollte zum einen zeigen, wie schwierig die Entscheidung für Eltern sein kann. Zum anderen sollte die unterschiedlichen Argumente es den Zuschauern ermöglichen, sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Die Zürcher Wissenschaftler experimentierten mit verschiedenen Film-Versionen. Alle drei Versionen, in denen die weibliche Genitalbeschneidung diskutiert wurde, zeigten eine positive Einstellungsänderung gegenüber unbeschnittenen Mädchen.
Jener Film, der sowohl persönliche Werte als auch die zukünftigen Heiratsaussichten ansprach, die Einstellung mindestens für eine Woche zu verändern.
Zu den persönlichen Überzeugungen gehören Annahmen wie: Mädchenbeschneidung ist für die Gesundheit gut/schlecht; meine Religion verlangt die Beschneidung (nicht); beschnittene Mädchen verhalten sich moralisch (nicht) besser.
Experiment geglückt
Sonja Vogt ist überzeugt, dass das Experiment nur gelingen konnte, weil das kulturelle Erbe berücksichtigt und kein Druck von aussen auf die Gemeinschaften ausgeübt wurde. Das mache eine offene eine vertiefte Auseinandersetzung mit der fest in der Kultur verankerten Tradition der Mädchenbeschneidung erst möglich.
Vogt hofft, dass die Filme nach gelungenem Ausgang nicht im Archiv landen, sondern den Weg zu den sudanesischen Rundfunkanstalten finden.