Als Lars Lindstrom im Spielfilm «Lars and the Real Girl» (2007, Regie: Craig Gillespie) seine neue Freundin Bianca ausführt, reagiert sein Bruder Gus schockiert: Bianca ist eine Sexpuppe, die der menschenscheue Bruder im Internet bestellt hat. Der Schock gilt dabei weniger dem Umstand, dass Sexspielzeuge üblicherweise private Schlafzimmer nicht verlassen. Widerlich findet Gus vielmehr, dass Lars zu meinen scheint, seine Bianca sei echt.
Sexroboter als Trostpflaster
Der Spielfilm trifft ins Schwarze eines Problems, das auch David Levy in seinem Buch «Love and Sex with Robots» (2007) beschäftigt. Man mag es abartig finden, wenn Männer «Gummisusis» penetrieren oder Frauen auf Plastikdildos stehen. Doch wozu auch immer derlei Gerätschaften animieren mögen – wahrhaft lieben werden wir die Plastik- und Blechkumpanen nie.
So denkt zumindest im Spielfilm Lars' Bruder Gus – und so denken vermutlich die meisten von uns. Sexroboter werden bestenfalls ein billiges Trostpflaster abgeben für jene, die Misses oder Mister Right noch nicht gefunden haben und käuflichen Sex ablehnen. Doch dieses Urteil ist bald veraltet, prophezeit Levy.
Dampfbetriebener Vibrator
In seinem süffig geschriebenen Buch spannt der britische Experte für künstliche Intelligenz den Bogen von den Anfängen der Sexspielzeuge mit dampfbetriebenen Vibratoren über «lüsterne Reisekissen» in Form einer Vulva bis zur Firma «Real Doll», einem US-amerikanischen Anbieter von naturgetreuen Sexpuppen in unterschiedlichsten Ausstattungen, die auch in der Schweiz erhältlich sind. Für Levy sind diese Puppen kein Spielzeug, sondern eine Art Vorbotinnen einer neuen Weltordnung, die nicht nur unseren Alltag, sondern auch unser Liebensleben erobern werden.
Vorbild Pygmalion
Ganz neu ist dieses Vision freilich nicht, wie Levy ausführt. Der zypriotische Bildhauer Pygmalion meisselte gemäss griechischer Mythologie aus Elfenbein seine Traumfrau. Er fand sie so hinreissend schön, dass er sich in sie verliebte. Je nach Fassung des Mythos war seine Liebe so stark, dass sich Aphrodite seiner erbarmte und der Statue Leben einhauchte. Pygmalion und seine vormalige Steinpuppe gingen als glückliches Liebespaar in die Geschichte ein, und Pygmalion gilt als Vorreiter all jener, welche die Liebe zwischen Kunstfiguren und Menschen als neue Beziehungsform preisen.
Liebe zum Roboterhund
Zugebenermassen würde sich kein vernünftiger Mensch in eine Sexpuppe verlieben, wie sie gegenwärtig im Handel erhältlich sind. Die entsprechenden Herstellerfirmen geben unumwunden zu, dass es schwer vorstellbar sei, Gefühle für ein Wesen zu entwickeln, das seinen Besitzer nicht einmal erkennt, sondern auf Knopfdruck jedem «I love you» ins Ohr haucht. Doch was, wenn Levy und andere Robotikspezialisten recht haben und die strombetriebenen Gespielinnen dereinst menschenähnlich würden? Zehntausende liebten ihren Sony-Roboterhund Aibo genauso wie ein echtes Haustier – für Levy der Beweis, dass wir auch künstliche Menschen, Androide, lieben könnten wie unsresgleichen.
Liebe als Dialog
Doch was heisst lieben? Eine Frage, die Psychologen wie Philosophen seit Jahrtausenden kontrovers diskutieren. Einige behaupten, zur Liebe gehöre Gegenseitigkeit – ein Moment des Dialogs, wie es Rainer Maria Rilke in seinem «Liebes-Lied» besungen hat, in dem er Liebende als Saiten eines einzigen Instrumentes vorstellt, das erst durch die Liebe zum Klingen gebracht wird. Wie klanglos leer muss dagegen die Liebe zum Blechfreund anmuten! Doch wer jemals unerwidert geliebt hat, weiss: Liebe kann genauso brennen, wenn sie monologisch bleibt – zuweilen brennt sie sogar umso stärker.
Emotionen erlernen
Ausserdem sei nicht ausgeschlossen, dass Roboter dereinst auch Emotionen entwickeln können, prophezeit Levy. Jedes Kind muss im Laufe seiner ersten Lebensjahre Mitleid erlernen. Weshalb sollte man diese Emotion nicht auch einem Roboter beibringen können? Darüber hinaus hat die strombetriebene Gespielin zweifelsohne Vorzüge: Sie behält Geheimnisse für sich, hat niemals Mundgeruch – und die Flaute im Bett? Inexistent.
Allerdings will man vielleicht gerade dieses allzeit Bereite, dieses stets Perfekte nicht – weil es unmenschlich ist. Und was, wenn der Roboter selbst Trauer erlernt – oder zumindest das Programm beherrscht mit dem Titel «Mit geht's so schlecht – Ich brauche Dich»? Vielleicht hindert uns an der Liebe zum Roboter dann nur noch der Gruseleffekt, den E.T.A. Hoffmann mit seinem «Sandmann» auszulösen weiss, wenn Nathanael dem Automaten Olimpia verfällt. Doch auch das Gruseln wird eines Tages verschwinden, schreibt Levy. Alles eine Frage der Gewöhnung.