Krähen und Raben wird vieles nachgesagt. Einiges davon ist längst widerlegt. Aber der Argwohn bleibt. « Raben: schwarz, schlau und verspielt », so ist eine Broschüre der Vogelwarte Sempach betitelt. Wir haben mit Christoph Vogel gesprochen, er ist in Sempach zuständig für Umweltbildung.
SRF: Was macht für Sie die Krähe so faszinierend?
Christoph Vogel: Wenn es einem gelingt, die Vorurteile wegzuwischen und die Krähen längere Zeit beobachtet, dann merkt man, dass sie mehr können als Brot und Fleisch fressen. Sie zeigen intensives Sozialverhalten und hohe kognitive Leistungen.
Schon Naturvölker haben gesehen, dass Rabenvögel etwas Besonderes an sich haben.
In Geschichten und Märchen ist die Krähe ein ständiger Begleiter von Hexen und Zauberern. Tut man dem Vogel damit Unrecht?
Die Begleitung von Hexen hat eine Bedeutung in der Literatur. Da müssen wir nicht allzu weit zurückgehen. Von Otfried Preussler etwa gibt es die «Kleine Hexe» und ihren Raben Abraxas. Der war in diesem Kinderbuch ein Schlaumeier, ein Vertreter der Intelligenz, des Wissens.
Wenn wir in vorchristliche Zeiten zurückblicken, haben schon Naturvölker gesehen, dass Rabenvögel etwas Besonderes an sich haben. Sie haben dieser Vogelart göttlichen Charakter zugeschrieben.
Gerade in den Städten oder dichtbesiedelten Orten begegnet man Raben mit Argwohn. Weshalb fühlen sich die Vögel ausgerechnet in Städten und Siedlungen so wohl?
Das hat damit zu tun, dass der ursprüngliche Lebensraum der Rabenkrähe und der Elster durch die Intensivierung der Landwirtschaft so eingeschränkt wurde, dass diese anpassungs- und lernfähigen Vögel im Siedlungsraum mehr Vorteile als Nachteile entdeckt haben.
Was sind die Probleme oder Konflikte, die Sie auf Ihrer Vogelwarte mitbekommen?
Neben dem Lärm von einer Saatkrähenkolonie und dem Koten von Sitzbänken, Gehwegen und Autos ist es vor allem die falsche Meinung, dass Rabenvögel insbesondere die Rabenkrähen und Elstern verantwortlich sind für den Rückgang kleiner Vogelarten. Das ist erwiesenermassen Blödsinn.
Es sind Nesträuber. Das wird den Rabenvögeln sehr, sehr übel genommen.
Sie gelten aber als Nesträuber.
Es sind Nesträuber. Ein kleiner Teil der Nahrung, die Rabenvögel ins Nest tragen, besteht aus Eiern und jungen Singvögeln. Die jungen Rabenvögel müssen einfach mit tierischem Protein aufgezogen werden. Wie übrigens auch der Gartenrotschwanz, der Sperling, die Amsel und die Singdrossel. Diese schönen Vögelchen machen das genau gleich.
Was man bei Rabenvögeln sieht, ist, dass sie sich von Singvögeln ernähren, die unsere Sympathie geniessen und die uns am Morgen wecken mit ihrem wunderschönen Gesang.
Das wird den Rabenvögeln sehr, sehr übel genommen. Dabei üben sie einfach eine Verhaltensweise aus, die ihnen die Natur zugewiesen hat. Die können gar nicht anders. Der Mensch ist in der Betrachtung und Bewertung dieser Vorgänge sehr parteiisch und nicht konsequent.
Wie sollen die Menschen in den Städten oder dicht besiedelten Gebieten diesen Rabenvögeln begegnen?
Das erste Mittel gegen diese Vorurteile wäre, sich ein Wissen über die wirkliche Biologie und das Verhaltensrepertoire dieser Vögel anzueignen. Wenn man weiss, warum die so laut sind und warum sie dieses und jenes machen, steigt die Toleranz.
Das Gespräch führte Vanda Dürring.