In Saudi-Arabien haben einige Frauen demonstrativ gegen das geltende Fahrverbot verstossen. Auf der Internet-Plattform YouTube veröffentlichten sie entsprechende Clips. Zur Kampagne hatten Aktivistinnen aufgerufen, die gegen das vom islamischen Klerus hochgehaltene Fahrverbot für Frauen mobil machen.
Die Behörden hatten zuvor im Falle von Verstössen gegen das Fahrverbot ein hartes Durchgreifen angekündigt. Tatsächlich sollen nach Angaben der Zeitung «Al-Madina» 14 Frauen verhaftet worden sein.
Tamador al-Jami ist eine der Aktivistinnen der Bewegung #Oct26Driving. Im Interview mit der «Tagesschau» spricht al-Jami über die Einschüchterungen der Behörden: «Ich wollte heute Samstag nicht risikieren zu fahren, weil ich zwei Kinder habe. Und das Recht der Kinder, eine Mama zu haben, die bei ihnen ist, ist grösser, als meine Recht, Auto zu fahren.»
Ein Vormund für jede Frau
Saudi-Arabien ist das einzige Land der Welt, das Frauen das Autofahren verbietet. «Und dies soll auch so bleiben, wenn es nach Teilen der saudischen Behörden geht», sagt die in Zürich lehrende Politologin Elham Manea. «Die Reaktion der Behörden zeigt, dass es nicht nur ums Autofahren der Frauen geht. Es geht um viel mehr.»
Anders als in vielen anderen islamischen Ländern hat jede saudiarabische Frau einen männlichen «Vormund», der in rechtlichen und vielen geschäftlichen Angelegenheiten für sie zuständig ist – in der Regel ist das der Vater, der Ehemann oder ein Bruder.
Ohne ihren Vormund darf eine Frau in Saudi-Arabien gar nichts: keine Arbeitsstelle annehmen, nicht ins Ausland reisen, nicht ins Krankenhaus gehen. Ein Mann darf sich von seiner Frau scheiden lassen, ohne dass diese anwesend ist oder überhaupt etwas davon weiss.
An staatlichen Schulen müssen Mädchen ab zwölf einen Schleier tragen oder gar ihr Gesicht verbergen, obwohl es reine Mädchenschulen sind. In Restaurants dürfen Frauen nur bedient werden, wenn es einen separaten Eingang und einen abgetrennten Raum für sie gibt. So will es das saudi-arabische Gesetz.
Von den Beduinen in die Moderne
Saudi-Arabien ist eines der konservativsten Länder im arabischen Raum – und gleichzeitig mit allen Segnungen der Zivilisation versehen. Das Königreich hat weltweit die grössten Öl-Reserven, ist steinreich und deshalb im globalen Getriebe verankert wie kein zweites arabisches Land. Dieser Widerspruch wirft Fragen auf.
Warum gehört Saudi-Arabien zu jenen arabischen Staaten, die den Islam am konservativsten und frauenfeindlichsten auslegen? «Die saudi-arabische Herrscherfamilie hat nach wie vor eine Allianz mit den Wahhabiten, einer islamischen Sekte», sagt Manea. Dank dieser Allianz konnte die Königsfamilie Anfang des 20. Jahrhunderts jene vier Regionen wieder vereinigen, die heute Saudi-Arabien ausmachen. «Die Religion dient zudem nach wie vor dazu, die Dynastie zu legitimieren.»
Der arabische Frühling macht die saudischen Behörden nervös. Für das Innenministerium bedeute das Erlauben des Autofahrens eine Schwächung, so Manea. «Denn mit der religiösen Lockerung würde eine ganze Philosophie ins Wanken kommen. Eine Philosophie, die Transparenz und Menschenrechte nicht zulassen kann, weil sie sonst nichtig wird.»