SRF News: Das Gerücht verdichtet sich weiter, dass eine Bombe den russischen Airbus zerfetzt hat. Wie schlimm wäre das für die Stabilitätspolitik von Ägyptens Präsident Al-Sisi?
Asiem El Difraoui: Es ist nicht nur schlimm für die Stabilitätspolitik von General Al-Sisi. Es ist vor allem schlimm für die ägyptische Wirtschaft und die Ägypter selber, denn jeder neunte Job im Land hängt vom Tourismus ab. Schon vor dem Airbus-Absturz lagen die Tourismus-Zahlen unter dem Niveau von vor den Umbrüchen in der arabischen Welt 2010. Und nun fliegen die Russen und die Engländer ihre Urlauber zurück in die Heimat. Dies löst eine weitere ökonomische Krise aus. Ägypten verarmt zunehmend, was allein schon für weniger Stabilität sorgt. Die Ägypter haben Al-Sisis Militärregime ja unterstützt, weil sie aus der ökonomischen Krise hinaus und mehr Stabilität wollten. Das scheint jetzt alles zu scheitern.
Was bedeutet diese Krise für Al-Sisi?
Nach der anfänglich starken Unterstützung für Al-Sisi sind die Ägypter inzwischen etwas entzaubert. Sie haben realisiert, dass die extrem repressive Politik des Präsidenten gegenüber den Muslimbrüdern dem Land nicht wirklich geholfen hat. Auch ist der wirtschaftliche Aufschwung trotz Grossprojekten ausgeblieben. Inzwischen fragen sich viele Ägypter, wie es weitergehen soll. Ägyptische Intellektuelle sprechen nun offen ihre Befürchtung aus, dass es wieder zu Unruhen kommen könnte, diesmal allerdings zu weniger friedlichen als 2011. Der Anschlag auf das russische Flugzeug ist für Ägypten sehr schädlich.
Viele Menschen im Nordsinai sind jetzt zu allem bereit.
Kurz nach dem Flugzeugabsturz betonte Al-Sisi, Ägypten führe einen erbitterten Kampf gegen die Terroristen auf dem Sinai. Wie genau sieht dieser Kampf aus?
Das Problem ist, dass der Kampf nicht nur vermeintliche Anhänger des «Islamischen Staates» trifft. Seit Jahrzehnten brodelt es im Nordsinai, wo Beduinenstämme leben. Sie fühlen sich seit langem als Ägypter zweiter Klasse und haben auch nie vom Tourismus-Boom im Süden der Halbinsel profitiert. Doch sie betrachten den ganzen Sinai als ihr Gebiet. Als Folge davon haben sich viele Stämme salafistischen und dschihadistischen Gruppen zugewandt. Wenn dort nun aber Zivilisten durch ägyptische Bomben sterben, wenden sich immer mehr Beduinen den Extremisten zu. Da geht es auch um Stammes-Solidarität. Mittlerweile werden in Ägypten ja alle Islamisten in einen Topf geworfen, ob das nun gemässigte Muslimbrüder oder Dschihadisten sind. Diese unqualifizierte Vermengung von jedem, der in irgend einer Weise eine politische Rolle des Islams haben möchte, führt zu einer weiteren Polarisierung des Landes. Folge: Die Dschihadisten erhalten weiteren Zulauf.
Al-Sisi hat den Kampf gegen die Islamisten im Nordsinai massiv verschärft, Geld und Waffen aus den Nachbarländern werden abgefangen. Es wurden der Ausnahmezustand und eine Ausgangssperre verhängt, Häuser zerstört und eine Pufferzone errichtet. Ist das alles wirkungslos?
Das kann man so nicht sagen. Doch sicher ist, dass damit Öl ins Feuer gegossen wurde, der Widerstand noch grösser geworden ist und viele Menschen im Nordsinai jetzt zu allem bereit sind. Sollte der russische Airbus tatsächlich durch eine Bombe zum Absturz gebracht worden sein, dann zeigt das, dass Repression allein nichts nützt. Die Lage in Ägypten dürfte noch schwieriger werden – vor allem, wenn es Al-Sisi nicht gelingt, dem Land die versprochene Stabilität zu bringen.
Das Gespräch führte Tina Herren.