Sternenbanner, Luftballone, Marschmusik: In Fort Campell, Kentucky, wird die Rückkehr der 101. Luftlandedivision mit ekstatischen Jubelschreien begrüsst. «Helden der Nation» werden Soldaten genannt, die an der Front waren.
Die Frage nach dem Sinn des Einsatzes in Afghanistan aber spaltet die Bevölkerung der USA immer mehr: Während 53 Prozent der Soldaten sagen, die Ziele seien erreicht worden, stimmen nur mehr 30 Prozent der restlichen Bevölkerung zu. 2006 waren 60 Prozent noch unisono für den Einsatz.
Düstere Kriegsbilanz
US-Präsident Barack Obama hofft, dass der am Samstag neu gewählte Präsident in Afghanistan das Sicherheitsabkommen unterzeichnet, mit dem nach dem Truppenabzug Ende Jahr eine kleine Nato-Streitmacht im Land belassen wird. Der amtierende Präsident Hamid Karzai hat dieses Abkommen zum grossen Ärger des Westens verweigert.
Falls alle westlichen Truppen abgezogen würden, herrsche Chaos im Land, prophezeien sogar die US-Geheimdienste. Und selbst mit den rund 15'000 Nato-Soldaten, die ab 2015 die afghanische Nationalpolizei unterstützen sollen, würden die Taliban weiter erstarken.
US-Soldaten stellen Dienst nicht in Frage
Von dieser düsteren Bilanz aber will man bei den «Screaming Eagles», den «schreienden Adlern» genannten 101. Luftlandedivision, nichts hören. «Ich bin nicht Soldat, um meinen Dienst in Frage zu stellen», sagt einer. Hier gilt jeder Einsatz als Erfolg, wenn kein Truppenangehöriger gefallen ist.
Der preisgekrönte US-Folksinger Lee Greenwood unterstützt den Patriotismus in der Kaserne mit dem landesweit bekannten Song «God bless the USA»: «Ich bin stolz, Amerikaner zu sein, weil ich frei bin. Und ich vergesse nicht, dass Amerikaner für meine Freiheit gestorben sind».
Kein politisches Engagement
«10vor10» besuchte Unteroffizier J.D. Williams, der 2010 in Afghanistan gedient hatte, bis eine Bombe seine Beine und den rechten Arm zerfetzte. Die Sinnfrage stelle er sich nicht, sagt der 26-Jährige: «Ich bin stolz auf meine Wunden, schliesslich habe ich sie nicht, weil ich betrunken Auto gefahren bin».
Im Gespräch wird schnell klar, dass Williams nicht aus politischen Gründen in Afghanistan gekämpft hat, sondern wegen dem Kameradschaftsgeist. Immer wieder betont er die Solidarität im Bataillon. Er geht sogar so weit, zu sagen, dass er froh ist, dass die Bombe ihn getroffen habe und nicht einen seiner Kameraden. Obwohl nur knapp dem Tod entronnen, habe er sich für einen Schwächling gehalten, weil er seine Truppe im Kampf zurücklassen musste.
Amerikaner denken, das Land gehöre ihnen
Der Patriotismus der US-Soldaten erklärt sich mit der Philosophie der Amerikaner. Im Land der Einwanderer, in dem der amerikanische Traum auch in wirtschaftlich harten Zeiten gross geschrieben wird, haben die Bewohner das Gefühl, Mitbesitzer ihres Landes zu sein. Entsprechend gross ist die Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft.
Er habe stellvertretend für Landsleute gekämpft, die nicht in der Lage seien, an die Front zu gehen, sagt Veteran Williams. Motiviert habe ihn der Gedanke an seinen Heimatstaat Montana: «Wenn es mir dreckig ging in Afghanistan, stellte ich mir vor, dass die ganze Bevölkerung Montanas mir zuschaut. Ich kämpfte für meine Familie, meine Freunde, meinen Bundesstaat, mein Land».
Häuser für Kriegsveteranen dank Spendegeld
Heute ist J.D. Williams vollständig invalid und bezieht eine Rente von 8000 Dollar monatlich, die das Militär bezahlt. Daneben hat ihn aber vor allem die Allgemeinheit unterstützt, auch das typisch für die USA, wo staatliche Fürsorgeleistungen gering sind. Die Hilfsorganisation «Helping a Hero» baut mit Spendengeldern Häuser mit behindertengerechten Einrichtungen für invalide Kriegsveteranen.
Psychisch krank, obdachlos, suizidgefährdet
Der Mythos des Kriegshelden aber hat sich seit den ein Jahrzehnt lang dauernden Kriegen im Irak und Afghanistan für viele heimgekehrte Soldaten entzaubert: Jeder fünfte leidet unter posttraumatischen Belastungsstörungen, über 50'000 sind obdachlos und seit anfangs Jahr haben sich täglich 22 Veteranen umgebracht.
Die US-Steuerzahler berappen die so genannten Kriege gegen den Terror mit rund sechs Billionen Dollar, Folgekosten für Gesundheit und Arbeitsmarkt nicht eingerechnet.
Zum Schluss unseres Besuchs blickt J.D. Williams nachdenklich in die Ferne. «Ehrlich gesagt, es ist mir nicht klar, warum wir überhaupt in Afghanistan waren», sagt er. «Ich weiss nicht, wofür ich meine Beine verloren habe.»
(widb; kurn)