Gehetzt, geschlagen, entblösst, gefesselt und allein gelassen. Die Misshandlungen im australischen Don-Dale-Gefängnis haben weltweit für Aufsehen gesorgt. Ein zentraler Aspekt wurde in der Berichterstattung zunächst aber nur am Rande erwähnt: In der Jugendhaftanstalt sitzen vor allem Menschen indigenen Usprungs.
Weshalb kriminelle, jugendliche und indigene Männer durch Wärter systematisch Gewalt erfahren haben, will Premier Malcolm Turnbull nun untersuchen lassen. So oder so nährt der Vorfall aber einen Verdacht: Australiens Machtelite hat ein Problem mit Minderheiten.
Menschenrechtsorganisationen kritisieren genau das. So prangert etwa Amnesty International nicht nur die australische Behandlung minderjähriger indigener Gefangener an, sondern auch Canberras Umgang mit Flüchtlingen.
Kriminalisierung von schwarzen Australiern
Dass im Don-Dale-Gefängnis vorwiegend indigene Kinder und Jugendliche gequält worden sind, überrascht allein schon statistisch nicht. Im ganzen Land sitzen in den Haftanstalten nämlich relativ viele Aborigines – wobei diese Quote mit der Bevölkerungszahl in keinem Verhältnis steht: Rund 3 Prozent aller Australier haben indigene Wurzeln. In den Gefängnissen beträgt ihr Anteil aber 27 Prozent.
Sind Aborigines also schlicht krimineller? Australien-Korrespondent Urs Wälterlin winkt ab – und führt ganz andere Gründe für das Missverhältnis an: Von den Indigenen, die in isolierten Gemeinden leben, haben viele keine Arbeit und beziehen Sozialhilfe. Weiter fehlt ihnen oft die Schulbildung. Wegen der schlechteren Gesundheitsversorgung sind sie schliesslich öfters krank und fehlen im Unterricht.
Dass die Indigenen es nicht wert seien zu leben, ist nach wie vor in den Köpfen vieler Australier.
«So gehen die Kinder und Jugendlichen dann auf die Strasse, ohne Lebensaufgaben und unkontrolliert von den Eltern, die wie sie aufgewachsen sind, und werden rasch straffällig.» Komme dazu, dass die Polizei mit verschiedenen Ellen messe. «Die Ungleichbehandlung der Indigenen ist, gerade etwa im Northern Territory, stark verbreitet.»
Die Diskriminierung der Aborigines wurzelt gemäss Urs Wälterlin in der Geschichte des Landes: «Australien ist nicht besiedelt, sondern überfallen worden. Seit der Landnahme 1788 durch die Briten ist Australien ein zutiefst rassistisches Land. Daran hat sich im Grunde nichts geändert. Dass die Indigenen es nicht wert seien zu leben, ist nach wie vor in den Köpfen vieler Australier.»
Marginalisierung von Flüchtlingen
Das Wegsperren hier, das Aussperren da – auch wegen seiner rigiden Flüchtlingspolitik erntet Australien Kritik. Seit 1992 konzentriert das Land die illegalen Einwanderer nicht mehr in abgelegenen Zentren im Landesinnern, sondern sammelt sie – off shore – auf Nauru und Manus (Papua-Neuguinea).
Auf den pazifischen Inseln leben die Menschen offenbar unter unwürdigsten Bedingungen. So berichten Amnesty International und Human Rights Watch – die verdeckte Berichterstatter in die von Journalisten und Menschenrechtsbeobachter abgeschirmten Lager entsandt haben –, dass hier Selbstmordversuche an der Tagesordnung seien. Laut den NGOs werde den Menschen auch in Notlagen ärztliche Hilfe verwehrt, sie erhielten wenig Informationen und seien ständigen Angriffen von Einheimischen ausgesetzt.
Hinter dem Umgang mit diesen Menschen steht die chronische Angst, von den ‹gelben schlitzäugigen Horden› (...) überfallen zu werden.
Dazu Korrespondent Urs Wälterlin: «Hinter dem Umgang mit diesen Menschen steht die chronische Angst, von den 'gelben schlitzäugigen Horden oder den 'muslimischen Schwarzen' überfallen zu werden.» Sobald die Australier ein Boot am Horizont sähen, fürchteten sie, dass ihnen ihr Lebensstandard weggenommen werde.
Mit dieser Angst begegnen viele Australier nun offensichtlich nicht nur den Flüchtlingen und Migranten, sondern auch den Indigenen. «Es lässt sich», so Wälterlin, zwischen diesen beiden Problemen «durchaus eine Brücke schlagen».
Grassierender Rassismus – und kein Ende in Sicht
Dass die rassistische Politik in naher Zukunft an Rückhalt verliert, ist nicht abzusehen. Denn nicht nur treiben die regierenden Kräfte (und ihre Wähler) das Weg- und Ausschliessen der Minderheiten und Randgruppen unerbittlich voran. Auch andere Akteuere zementieren den Status Quo.
Zunächst haben die Indigenen Mühe, sich im Widerstand zu formieren. Urs Wälterlin: «Die Australier indigenen Ursprungs tun sich schwer, mit einer Stimme zu sprechen.» Denn aus einst Hunderten verschieden Stämmen hervorgegangen, würden die Aborigines heute noch unter ganz anderen Umständen leben.
Weiter berichten die meisten Medien nicht frei. Rund 70 Prozent aller Printmedien werden durch den US-Tycoon Rupert Murdoch kontrolliert. Der steht laut Wälterlin «für die Interessen der Konservativen und Kapitalisten ein und ist grundsätzlich dem Herrendenken der Weissen vepflichtet.»
Schliesslich spielt der sogenannte Koala-Effekt gegen die Indigenen – an dem der Westen einen massgeblichen Anteil hat: «Amerikaner, Deutsche, aber auch Schweizer denken bei Australien an Kängurus und Koalas. Mehr wissen die Leute nicht, und mehr wollen sie auch nicht wissen. Australien soll ihnen als Traumland erscheinen. Eine Folterung jugendlicher Indigener hat keinen Platz in diesem Traum.»