Die Aufnahmen erinnern an die Folterbilder aus dem irakischen Abu-Ghraib-Gefängnis. Ein Jugendlicher sitzt festgeschnallt auf einem Stuhl, Arme und Beine fixiert, eine Kapuze über dem Kopf. Der Oberkörper nackt. «Entspann dich einfach», sagt einer der uniformierten Aufseher. Dann verlassen die Uniformierten den Raum. Die Aufnahmen stammen aus dem Don Dale Centre, einem Hochsicherheitsgefängnis für Jugendliche in Darwin im äussersten Norden des Landes.
Auch was der öffentlich-rechtliche TV-Sender ABC (Australian Broadcasting Corporation) gestern Abend weiter berichtete, schockiert: Wachen griffen die 14- bis 17-Jährigen mit Tränengas an. Insassen wurden geschlagen, mit Wasserschläuchen abgespritzt und nackt ausgezogen. In anderen Fällen wurden Jugendliche tagelang in Einzelzellen gesperrt. Die Bilder stammen aus den Jahren 2010 bis 2014.
Erste Untersuchung verlief im Sand
Regierungschef Malcolm Turnbull ordnete eine sofortige Untersuchung an. «Wie alle Australier bin ich schockiert», sagte er dem Sender ABC. Es ist nicht die erste Untersuchung. Bereits 2014 gab es Ermittlungen wegen eines Tränengas-Einsatzes. Die Behörden behaupteten damals, der Einsatz sei nicht exzessiv gewesen.
Bei den meisten Insassen in solchen Einrichtungen handelt es sich um australische Ureinwohner. Der Anteil der Ureinwohner an der Gesamtbevölkerung liegt zwar bei nur rund drei Prozent. In den Gefängnissen des Landes liegt ihr Anteil aber bei 27 Prozent. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch betonte, sie habe von den Behörden schon lange verlangt, gegen solche Missbräuche vorzugehen. Es handle sich hier lediglich um die Spitze des Eisbergs.
«Institutioneller Rassismus»
«Mir hat sich bei den Aufnahmen fast der Magen umgedreht, wie anderen Zuschauern offenbar auch», berichtet SRF-Australien-Mitarbeiter Urs Wälterlin. Der ehemalige CNN-Starreporter Stan Grant, selbst ein stolzer Aboriginal, habe heute als einer von vielen seine Wut über die Vorgänge ausgedrückt. Von Rassismus seien in Australien weiterhin vor allem Aborigines betroffen.
Turnbull habe zumindest teilweise auf öffentlichen Druck hin reagiert, schätzt Wälterlin. Wohl habe den Premier der Skandal auch persönlich berührt. Einige seiner Regierungsmitglieder hingegen hätten ein doch eher archaisches Bild davon, was im Strafvollzug möglich sein soll, vor allem bei Aborigines. Hier gehe es klar um ein Systemversagen und nicht um Einzelfälle. Ein Beobachter hat dies auch mit «institutionellem Rassismus» umschrieben.
Ein Aboriginal-Kind hat heute grössere Chancen, ins Gefängnis zu kommen als zu einem Schulabschluss.
Dass sich nach der jetzt eingeleiteten Untersuchung viel ändern wird, glaubt Wälterlin nicht. Genau vor 20 Jahren sei nämlich die hohe Inhaftierungsrate von Aborigines vertieft untersucht worden, gefolgt von Empfehlungen zur Verbesserung der Lage. Doch heute sei die Inhaftierungsrate mindestens so hoch wie damals und an einigen Orten sogar höher: «Ein Aboriginal-Kind hat heute grössere Chancen, ins Gefängnis zu kommen als zu einem Schulabschluss.»