SRF News: Scheich Salman bin Ibrahim al Chalifa aus Bahrein und der Walliser Gianni Infantino gelten als Favoriten für die Blatter-Nachfolge an der Spitze der Fifa. Wen soll der Fifa-Kongress am Freitag zum neuen Präsidenten wählen?
Jens Weinreich: Da es am Freitag keine optimale Lösung geben kann, wäre die suboptimale für die Öffentlichkeit fantastisch. In dem Fall sollte Scheich Salman neuer Fifa-Präsident werden. Er würde den Weltfussballverband an die Wand fahren, was über kurz oder lang dazu führen würde, dass die Fifa aufgelöst und neu strukturiert werden müsste.
Was spricht denn gegen Gianni Infantino von der Uefa? Er hat in allen bisherigen Skandalen ja keine Rolle gespielt?
Das ist korrekt, von ihm sind keine Verfehlungen bekannt, im Gegensatz zu so vielen, die in letzter Zeit suspendiert wurden oder sogar langjährige Gefängnisstrafen befürchten müssen. Gegen Infantino spricht allerdings, dass er jahrelang auf der Seite derer war, die noch weniger Reformen wollten als Sepp Blatter. Er hat als Gehilfe des suspendierten Uefa-Präsidenten Michel Platini die Europäer darauf eingeschworen, alle Reformbestrebungen bei der Fifa abzulehnen. Einiges von dem, das nun am Freitag am Fifa-Kongress verabschiedet wird, hätte ansonsten schon vor Jahren durchgezogen werden können. Infantino war ganz vorne mit dabei und hat die Blockadehaltung gegenüber jeglicher Reformen vertreten. Sein Verhalten über Jahre ist – das muss man so sagen – einfach nur schändlich. Wenn sich dieser Mann nun als «Erneuerer der Fifa» ausgibt und Präsident werden will, dann ist dies ein Treppenwitz der Weltgeschichte. Mit meiner Meinung stehe ich übrigens nicht alleine: Mark Pieth, der Antikorruptionsexperte und Strafrechtsprofessor aus Basel sieht das genau gleich.
Infantinos Verhalten über Jahre ist – das muss man so sagen – einfach nur schändlich.
Die Fifa-Reformen sehen unter anderem vor, die Amtszeit des Präsidenten zu beschränken, seine Befugnisse zu beschneiden oder, das Exekutivkomitee zu einer Art Verwaltungsrat umzuwandeln. Das hört sich eigentlich gut an. Trotzdem sagen Sie, das bringe nichts. Warum?
Ich sage nicht, dass das nichts bringt. Doch das sind alles Änderungen, die schon vor Jahren hätten eingeführt werden können. Sie standen alle bereits auf der Agenda, sind aber am Widerstand von diversen Seiten gescheitert. Neben Platini, Infantino und der Uefa waren auch andere Konföderationen wie jene aus Nord- und Südamerika gegen die Reformen – es sind notabene jene Verbände, in denen nun die US-Behörden FBI, IRS und das Departement of Justice aufräumen.
Die nun angepeilte Statutenreform der Fifa geht einfach nicht weit genug. Der Weltfussballverband müsste grundsätzlich neu aufgestellt werden. Wenn er schon nicht aufgelöst wird, müsste in einer Übergangszeit zumindest eine Führung aus Unabhängigen eingesetzt werden, die nicht aus dem Fussball-Business, sondern aus der Kriminalistik kommen. Denkbar wären auch gut beleumundete Politiker als Fifa-«Übergangsregierung». In den ein, zwei Jahren Übergangszeit könnten die Fifa-Fussball-Wettbewerbe übrigens ohne Probleme trotzdem abgehalten werden. Niemand braucht jetzt einen neuen Fifa-Präsidenten, der unter denselben Gesichtspunkten und von den gleichen Allianzen gewählt wird, wie dies seit Jahrzehnten geschieht. Man kann das Stimmengeschacher, das nun wieder im Gang ist, sehr genau mitbeobachten. Dabei geht es nicht um Strukturen der Fifa oder darum, Transparenz herzustellen. Es geht auch nicht darum, die Verbrechen einiger Exponenten aufzuarbeiten. Es geht einzig um die Macht.
Die Reformen kommen also zu spät, die Kultur der Fifa wird sich so nicht ändern. Kann man also sagen, dass die Fifa in ihrer jetzigen Form gescheitert ist?
Falls am 26. Februar tatsächlich ein neuer Präsident gewählt wird, wird die Fifa am 27. Februar immer noch existieren, und das mit einem reformierten Programm. Doch das Entscheidende passiert nicht in Zürich, sondern in den Büros der Schweizer Bundesanwaltschaft und jenen der erwähnten US-Behörden. Man kann im Sinne des Fussballs, der Öffentlichkeit und der Transparenz nur hoffen, dass so viel wie möglich kriminalistisch aufgearbeitet wird.
Das Gespräch führte Andrea Christen.