Es fliegen die Fetzen – in aller Öffentlichkeit. Der Stadtpräsident von Ankara, Melih Gökçek, twittert dem stellvertretenden Premier, Bülent Arinç, er sei ein Verräter und solle abdanken. Arinç, nicht weniger zornig, gibt zurück: Der Andere sei korrupt und habe keine Manieren.
Bei der AKP herrscht Krach, die Ereignisse sind beispiellos. Umso spektakulärer mutet die Selbstzerfleischung an, weil sich die mächtige Regierungspartei seit 13 Jahren als Bollwerk der Stabilität und Geschlossenheit gibt. Nun ist es Präsident Recep Tayip Erdogan selber, der den Streit lanciert: Ende letzter Woche kanzelte er die Regierung ab, weil sie – ohne ihn zu fragen – in den Friedensverhandlungen mit den Kurden aktiv geworden war.
Frust ist über längere Zeit gewachsen
Dass sich Erdogan regelmässig in Regierungsgeschäfte einmischt, ist nichts Neues. Doch diesmal schluckte das Arinç nicht und gab zurück: Erdogans emotionale Kommentare schadeten der Regierung, sagte der stellvertretende Premier. Erdogan, irritiert über diesen Affront, schmollt seither in seinem prunkvollen Palast in Ankara und lässt Gökçek, den Bürgermeister der Hauptstadt, sprechen.
Krach in einer Partei – das ist normalerweise gesunde demokratische Kultur. Nicht so bei der AKP. Hier zeigt sich vielmehr, wie instabil und schwer durchschaubar das Netz von Abhängigkeit und Loyalität geworden ist, das Erdogan in den letzten Jahren geknüpft hat.
Es hält, solange sich alle ducken und ihre eigenen Interessen hinten anstellen. Doch die Frustration in der AKP wächst schon seit einiger Zeit, je rücksichtsloser sich Erdogan zum Alleinherrscher aufschwingt.
Erdogan strebt autoritären Polizeistaat an
Den Übervater zu kritisieren, das braucht Mut, denn man wird schnell zum Feind erklärt. Schubladen dafür gibt es einige: Die Organisation des Predigers Fetullah Gülen; der sogenannte Parallelstaat, in dem sich Verschwörer gegen Erdogan tummeln sollen; oder auch die Kurden oder der linke säkulare Protest.
Der Friedensprozess mit den Kurden kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Türkei zu einem autoritär regierten Land entwickelt. Erdogans Gegner verwenden den Begriff Polizeistaat. Nach den Wahlen vom 7. Juni will Erdogan die Verfassung ändern und ein Präsidialsystem einführen, das ihm persönlich sehr viel und dem Parlament nur noch wenig Macht einräumt.
Selbst seinem Freund Ahmet Davutoglu, amtierender Regierungschef, ist dies unheimlich. Eigentlich ist er dagegen – schweigend zumindest. Sein Stellvertreter Arinç aber riskiert die Konfrontation mit Erdogan. In der Türkei wird nun darüber spekuliert, ob dieser hässliche Streit das Potenzial zu einem Aufstand in der AKP hat. Das wäre in der Tat spektakulär, so kurz vor den Wahlen.