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International Biden auf Charmeoffensive in der Türkei

Die USA und die Türkei sind Partner. Das hätte man in den letzten Wochen beinahe vergessen können, so frostig waren die Beziehungen. Um das angeknackste Verhältnis zu kitten, ist US-Vizepräsident Joe Biden nach Ankara gereist. Iren Meier und Beat Soltermann beurteilen das Treffen von beiden Seiten.

Iren Meier

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Iren Meier ist SRF-Auslandredaktorin mit dem Spezialgebiet Türkei. Sie war von 2004 bis 2012 Nahost-Korrespondentin und lebte in Beirut. Von 1992 bis 2001 war sie als Osteuropa-Korrespondentin tätig.

SRF News: Die Türkei und die USA haben eine Offensive gegen eine IS-Hochburg in Nordsyrien begonnen. Hängen diese Offensive und das Treffen zwischen Joe Biden und der türkischen Regierungsspitze zusammen?

Iren Meier: Auf den ersten Blick nicht unbedingt, denn der äussere Anlass für diese Offensive ist eigentlich der verheerende Anschlag von Gaziantep vom letzten Samstag, der dem IS zugeschrieben wird. Aber natürlich ist der Zeitpunkt nicht zufällig. Erdogan will den Amerikanern zeigen, dass er die Terroristen des IS in Nordsyrien bekämpft, dass er sie vertreiben will aus diesem Gebiet. Das ist auch im Interesse der USA. Aber die türkische Offensive richtet sich auch gegen die Kurden in diesem Gebiet. Das macht das ganze so komplex. Denn diese Kurdenmiliz ist eine ganz enge Verbündete der USA. Die US-Spezialkräfte unterstützen die Kurden, die Erdogan als Terroristen betrachtet.

Wie geht die US-Regierung mit dem Dilemma um, dass man einerseits die Türkei braucht, um gegen den IS vorzugehen, dass sie aber andererseits die kurdischen Rebellen bekämpft?

Beat Soltermann

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Seit 2011 berichtet Beat Soltermann für SRF aus Washington D.C. Zuvor arbeitete er in der SRF-Wirtschaftsredaktion und empfing die Gäste der «Samstagsrundschau».

Beat Soltermann: Für die Obama-Administration ist es ein riesiger Eiertanz, mit dem Ziel, die Türken bei Laune zu halten und die Kurden in Syrien als Partner gleichzeitig nicht zu verlieren. Das hat man heute gesehen: Biden hat an einer Medienkonferenz einmal mehr betont, dass die USA keinen Kurdenstaat an der türkischen Grenze akzeptieren würden. Die USA bestünden auch darauf, dass sich die Kurden auf die Westseite des Euphrats zurückzögen. Aussagen, die die Türken natürlich hören wollen. Gleichzeitig sind die Kurden für die Amerikaner wichtige Player im Syrien-Konflikt und im Kampf gegen den IS. Sie dürfen keinesfalls geschwächt werden. Das alles unter einen Hut zu bringen, ist sehr schwierig.

Der Besuch von Biden in Ankara soll die angespannten Beziehungen zwischen den USA und der Türkei verbessern. Reicht dazu der Besuch des Vizes?

Iren Meier: Nein, so etwas geht nicht über Nacht. Und der Putschversuch von Mitte Juli hat das Verhältnis noch einmal massiv verschlechtert. Viele türkische Politiker und auch viele Bürger sind verletzt und irritiert, dass die westlichen Regierungen, auch die amerikanische, aus ihrer Sicht nicht adäquat auf den Putschversuch reagiert hat. Vor allen auf das Trauma, das er für die Leute und das Land bedeutet. Biden ist nun der erste westliche Spitzenpolitiker, der nach Ankara kommt – erst sechs Wochen nach dem Putschversuch. Er hat wirklich alle Register gezogen, um das wieder gutzumachen. Er hat hat die Politiker und die Bevölkerung nur gelobt. Das war mehr als nur eine Charmeoffensive. Kein Hauch von Kritik an den Säuberungen, an der Repression.

Ein wichtiges Anliegen von Präsident Erdogan ist die Auslieferung seines Erzfeinds, des türkischen Predigers Fetullah Gülen, der in der USA im Exil lebt. Ist eine Annäherung an die USA möglich, solange man sich in dieser Frage nicht einig ist?

Iren Meier: Es ist schon ein grosses Hindernis. Aber Premier Yildirim hat heute ganz versöhnlich gesagt, er sehe, dass die USA das Auslieferungsbegehren jetzt ernst nähmen. Vorher war das offenbar nicht so. Ein Problem ist die Person Erdogan; sein Ruf und seine Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung. Man weiss bis heute nicht genau, was in dieser Putschnacht vor sich gegangen ist. Man weiss nicht, wer die Putschisten sind. Aber Erdogan hat Gülen zu einem solch monströsen Feindbild gemacht, dass der Prediger jetzt wirklich an allem Schuld ist in diesem Land. Viele denken deshalb, dieser Mann müsse zuhause zur Rechenschaft gezogen werden, er müsse ausgeliefert werden. Biden hat dazu eine gute Antwort gegeben – und darin war ein leiser Hauch von Kritik zu hören: Er sagte, kein Präsident in einem Rechtsstaat könne irgendwen ausliefern, das sei Sache der unabhängigen Justiz.

Für das Weisse Haus ist es ein riesiger Eiertanz, mit dem Ziel, die Türken bei Laune zu halten.
Autor: Beat Soltermann SRF-Korrespondent in Washington

Das heisst, in den USA stellt man sich auf den Standpunkt, für eine Auslieferung Gülens brauche es zunächst wasserdichte Beweise...

Beat Soltermann: Ja, aber diese fehlen bis jetzt, sie wurden zumindest nicht vorgelegt. Die Türkei hat vier Auslieferungsgesuche eingereicht. Alle vier für kriminelles Verhalten, das vor dem versuchten Coup Mitte Juli stattgefunden haben soll. Aber bis jetzt noch keines, das sich auf den Coup selbst bezieht und auf die Rolle, die Gülen dabei angeblich gespielt hat. Das US-Justizministerium hat so viele Juristen auf das Dossier angesetzt, wie bei keinem anderen Auslieferungsverfahren der jüngsten Zeit. Und bald, das hat Biden angekündigt, sollen auch amerikanische Experten in Ankara eintreffen, um beim Formulieren eines Gesuchs zu helfen. Das letzte Wort haben aber die US-Gerichte, nicht Obama, nicht Biden, und schon gar nicht Erdogan. Biden ging mit seinen Äusserungen heute schon sehr weit. So dass auf amerikanischer Seite nicht zu Unrecht befürchtet wird, dass sich eine allzu starke Politisierung des Falles negativ auf das Anliegen der Türkei auswirken könnte.

Erdogan hat Gülen zu einem so monströsen Feindbild gemacht, dass er an allem Schuld ist im Land.
Autor: Iren Meier SRF-Auslandredaktorin

Wie beziehen die USA eigentlich Stellung zu den sogenannten Säuberungen Erdogans nach dem Putschversuch?

Beat Soltermann: Sie stellen sich auf den Standpunkt, dass der Rechtsstaat eingehalten werden müsse. Aber sie sind relativ zurückhaltend, wenn es darum geht, am harten Durchgreifen Erdogans Kritik zu äussern. Vor allem jetzt, nach dem Putschversuch. Die USA wollen die Türkei offenbar nicht noch mehr verärgern, die bilateralen Beziehungen nicht noch stärker belasten. Ein Beamter im Tross von Biden hat gefragt: «Was hätten die Amerikaner erwidert, wären die Türken nach 9/11 in die USA gereist und hätten gesagt, das sehr weitgehende Überwachungsgesetz, der Patriot Act, sei ein Fehler? Wir hätten da auch keine Freude gehabt.» Die Devise lautet also, handzahm, zurückhaltend und vertrauensbildend vorzugehen.

Audio
USA im Dilemma
aus Echo der Zeit vom 24.08.2016. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 8 Minuten.

Können es sich die USA überhaupt leisten, die Türkei als strategische Partnerin zu verlieren?

Beat Soltermann: Wohl kaum. Es gibt, wenn man sich umschaut in der Region, fast keine Alternative zur Türkei. Wer käme sonst noch in Frage? Der Iran aus politischen Gründen nicht. Die US-Beziehungen zu den Golfstaaten – vor allem jene zu Saudi-Arabien – haben sich unter Obama verschlechtert, nicht verbessert. Dies vor allem weil diese Staaten, was nicht überrascht, nicht wirklich gegen den IS kämpfen. Da bleibt nur noch das Nato-Mitglied Türkei als strategischer Partner; zusammen mit Israel.

Wäre umgekehrt für Erdogan eine längerfristige Eiszeit mit Washington tragbar?

Iren Meier: Natürlich nicht. Vor allem nicht für das Land Türkei. Russland, Iran, vielleicht China: Das können alles temporäre Partner sein, aber sie ersetzen die USA nicht. Aber eigentlich glaubt auch niemand, dass die Türkei ihre Ausrichtung gegen Westen aufgeben will oder kann – selbst unter Präsident Erdogan.

Die Gespräche führte Roman Fillinger.

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