Die NSA-Enthüllungen durch Edward Snowden vor zwei Jahren verblüfften selbst Richard A. Clarke. Er war Antiterror-Berater von Präsident Reagan, Bush Senior, Clinton und Bush Junior.
«Ich habe ja auch mit solchen Programmen zu tun gehabt, aber ich wusste nicht, dass es ein Programm gab, mit dem der Geheimdienst massenhaft Telekom-Daten von US-Bürgerinnen und Bürgern sammelt.» Er finde das gehe zu weit, und das würden auch die meisten Amerikaner und der US-Kongress denken, ist Clarke sicher.
Verfassungsmässige Rechte verletzt
Das nun ausgelaufene Datensammlungs-Programm, das wichtigste im Arsenal der Geheimdienste, stützte sich auf eine Bestimmung im sogenannten Patriot-Act, dem Gesetz, das nach den Anschlägen vom 11. September 2001 geschaffen wurde. Glücklicherweise sei diese Bestimmung nun ausser Kraft getreten, sagt Clarke: «Dieses Programm hat keinen einzigen Terroranschlag in den USA verhindert. Wenn es nun nicht mehr gilt, ist das eine gute Sache.»
Das Gesetz habe die verfassungsmässigen Rechte der Amerikanerinnen und Amerikaner verletzt, weil der Geheimdienst NSA die Daten selber gespeichert habe und ohne richterlichen Erlass darauf zurückgreifen konnte.
Eine saubere Rechtsgrundlage
Clarke hat als einer von fünf Experten einen Bericht zur NSA-Reform geschrieben. Eine der Empfehlungen lautete: Eine saubere Rechtsgrundlage für die Datensammlerei zu schaffen. Darauf fusste die Reform, die am Sonntag im Senat scheiterte. Einige Republikaner wollten dem NSA weiterhin erlauben, uneingeschränkt, ohne richterlichen Beschluss, Daten zu sammeln. Andere Republikaner, wie der libertäre Senator Rand Paul, sind für die Abschaffung des Programms.
Nun sucht der Senat nach einem Kompromiss. In der Zwischenzeit fehlt allerdings die Gesetzesgrundlage für neue Sammelaktionen. Einige Tage ohne NSA-Schutz: Müssen wir uns sorgen? «Nein, trotz aller Panikmache. Wir müssen keine Angst haben, da wird viel übertrieben», sagt Clarke im Gespräch mit Radio SRF.
Die meisten Bespitzelungen gehen weiter
Das hat damit zu tun, dass die NSA-Agenten nun keinesfalls zum Bleistift-Spitzen verdammt sind. Laufende Bespitzelungen dürfen weitergeführt werden, und auch sonst kommen die Agenten weiterhin an ihre Daten, wenn auch über Umwege. Vor allem aber ist nur ein NSA-Programm betroffen, nämlich jenes, das die US-Bürger betrifft. Alle anderen Bespitzelungen gehen munter weiter; zum Beispiel jene welche die Daten im Ausland absaugen.
Ein klassischer Fall von Doppelmoral? «Nein», antwortet Clarke und stellt sich auf die Seite der Geheimdienste. Selbst Ausländer hätten gewisse Rechte, auch wenn sie die US-Verfassung nicht schütze. Und was ist mit dem Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel, das angezapft wurde? Der Präsident habe klar gemacht, dass das ein Fehler gewesen sei – wenn es denn überhaupt je passiert sei. Und es werde nie mehr geschehen, so Clarke.
Angst vor einem «Lonely Wolf»
Clarke ist zwar ein Kritiker, aber keinesfalls ein Gegner der Geheimdienste und deren Schnüffelaktivitäten. Für ihn sind beide unablässig für den Schutz der Vereinigten Staaten. Er glaubt, die grösste Gefahr drohe derzeit nicht aus dem Ausland, sondern aus dem Landesinnern. Etwa durch einen sogenannten «Lonely Wolf», ein Einzeltäter, der plötzlich zum IS-Terroristen wird und einen Anschlag verübt.
Für die Geheimdienste sei es sehr schwierig, zu erkennen, wann jemand von einem islamistischen Sympathisanten zu einem Attentäter werde, sagt der Geheimdienst-Experte. Übrigens ist eine Bestimmung, die seit 2001 speziell auf solche Einzeltäter zugeschnitten wurde, seit heute ebenfalls ausser Kraft. Auch sie soll reaktiviert werden. Pikant: Die NSA hat bis jetzt in keinem einzigen «Lonely-Wolf»-Fall Daten auf dieser sauberen Gesetzesgrundlage zusammentragen lassen.