Die EU steht unter Druck. Der Zeitplan ist straff. Bis Ende Juni sollen nach dem Wunsch der Türkei die Visa liberalisiert werden. Noch müssen die EU-Staaten und das EU-Parlament ihre Zustimmung geben.
Die EU wartet nicht, bis die Türkei alle Bedingungen für eine Aufhebung der Visapflicht erfüllt. Dies zeigt auf, wie abhängig die EU von der Türkei in der Flüchtlingsfrage ist. Die Türkei hat verschiedentlich gedroht, das Flüchtlingsabkommen nicht mehr weiter umzusetzen.
Ist die Visumsfreiheit ab Ende Juni beschlossene Sache nach dem Teil-OK der EU-Kommission?
Sicher ist das noch nicht. Denn die Kommission entscheidet nicht, sondern gibt nur eine Empfehlung ab. Danach müssen das EU-Parlament und der EU-Rat zustimmen, das heisst, die EU-Innenminister. Das sollte voraussichtlich in der Woche des 6. Juni passieren. Es ist bemerkenswert, wie stark die EU unter dem aktuellen Druck bereit ist, das Ganze zu beschleunigen. Denn ursprünglich hätte das alles erst im kommenden Jahr passieren sollen.
Die Türkei hat noch nicht alle Bedingungen erfüllt, welche die EU für das erleichterte Einreisen verlangt. Mit der Aufhebung des Visazwangs für die Türken hat die EU ja gar kein Druckmittel mehr in der Hand.
Das wäre das Problem. Deshalb steht zur Diskussion, dass die EU eine Notfallklausel einführen möchte. Wenn zu viele Türkinnen und Türken kommen würden, könnte sie die Klausel aktivieren. Dann gäbe es wieder eine Visumspflicht. Eine solche Notfallklausel gibt es bereits heute. Aber vor allem Deutschland und Frankreich sagen, dass die Hürden für deren Aktivierung heute zu hoch seien. Sie müssten deshalb gesenkt werden. Die Kommission hat sich widersprüchlich zu einer solchen Klausel geäussert. Ursprünglich liess sie verlauten, dass sie von einer solchen Klausel nichts hält. Danach hat sie sich auch positiv geäussert.
Die Frage ist nun, wie reagieren das EU-Parlament und vor allem die Parlamente der einzelnen Länder?
Der Druck auf das Parlament und die Länder wird gross sein, dem Vorschlag zuzustimmen. Beim Rat gehe ich davon aus, dass er zustimmen wird. Er muss nicht einstimmig entscheiden, sondern es reicht eine qualifizierte Mehrheit. Beim Parlament bin ich etwas unsicherer, da wird es sicher Widerstand geben. Die Frage ist, wie breit dieser Widerstand sein wird, denn auch hier wird der Druck für eine Zustimmung sehr gross ein. Ein Nein wäre deshalb eine Überraschung, kann aber nicht ausgeschlossen werden.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.