SRF News: Der Iran wählt das Parlament und den Expertenrat. Das Medieninteresse daran ist riesig. Was ist besonders an diesem Wahlgang?
Pascal Weber: Es sind die Wahlen nach dem Atomabkommen und nach der Aufhebung der internationalen Sanktionen. Damit ist der Wahlgang ein Referendum über Präsident Rohanis vorsichtige Annäherungspolitik an den Westen und einen ganz leisen Reformkurs im Innern. Würden die Reformisten um Rohani Aufwind bekommen, bedeutete das, dass er die sanften Reformschritte gestärkt und vertieft weiterführen könnte.
Zudem wird mit dem Expertenrat das Gremium gewählt, das im Todesfall des betagten Revolutionsführers Ajatollah Ali Chamenei dessen Nachfolger bestimmt. Die Nachfolge des höchsten Klerikers entscheidet mittel- oder langfristig, in welche Richtung sich der Iran bewegt.
Wagen Sie eine Prognose, was die Wahlbeteiligung und den Ausgang der Wahlen betrifft?
Grundsätzlich ist eine hohe Beteiligung zu erwarten. Man spürt bei Konservativen wie bei Reformern, dass sich die Iraner sehr bewusst sind, dass die Wahlen entscheidend sein können. Jüngste Umfragen vor allem in Teheran zeigen, dass die Reformisten Aufwind haben. Viele Iraner hegen Hoffnungen nach der Aufhebung der Wirtschaftssanktionen. Das hilft dem Lager von Rohani enorm.
Sollten die Reformisten mehr Sitze erringen, würde damit eine politische Öffnung des Landes lanciert?
Wenn wir von Reformen sprechen, ist damit sicher nicht gemeint, dass der Iran plötzlich zu einer offenen demokratischen Marktwirtschaft wird. Von einer Revolution, wie sie sich etwa im arabischen Frühling zeigt, kann keine Rede sein. Es geht um eine sanfte Öffnung.
Der Klerus betont immer wieder, dass Rohani das Land für dreckiges Geld an den Westen verkaufe.
Werden die Wahlen demokratisch verlaufen?
Ich habe nicht den Eindruck, dass es unfreie und unfaire Wahlen werden. Natürlich haben sich die ultrakonservativen Kleriker schon im Vorfeld in den demokratischen Prozess eingemischt, indem sie darüber befunden haben, wer wählbar ist und wer nicht. Handkehrum kann man aber nicht behaupten, dass vor den Wahlen zwingend politische Spielchen stattgefunden haben.
Das müssen Sie bitte genauer erklären.
Man muss wissen, dass es für eine Kandidatur klare Regeln gibt, die viele reformistische und konservative Bewerber einfach nicht erfüllt haben. Der Wächterrat hat so zahlreiche Personen von der Wahl ausschliessen können und müssen. Für einen Sitz im Parlament muss man zum Beispiel einen Masterabschluss haben. Und wer im Expertenrat einsitzen will, muss an einem bestimmten Tag eine schwierige religiöse Prüfung ablegen.
Diese Prüfung ist offenbar dem Enkel von Ajatollah Chomeini – dem Hoffnungsträger der Reformisten – zum Verhängnis geworden...
Chomeinis Enkel, dessen Disqualifizierung von der Wahl für grossen Wirbel gesorgt hat, ist nicht zur religiösen Prüfung angetreten und darum von der Wahl ausgeschlossen worden. Über die Gründe gibt es viele Gerüchte. Manche sagen, er hätte aus freien Stücken agiert. Andere munkeln, der Termin sei ihm absichtlich nicht bekannt gegeben worden. Wie vieles im Iran ist die Antwort vielleicht nicht schwarz oder weiss.
Wie gross ist die Angst des Klerus, dass er an Macht einbüsst?
Zum einen gibt er sich überzeugt, dass er das Richtige tut und kein Weg an ihm vorbeiführen wird. Zum anderen spürt man aber Verunsicherung in seinen Reihen. Das zeigt sich etwa daran, dass sich die Konservativen nach Kräften bemühen, Rohanis Politik zu diffamieren. Sie betonen immer wieder, dass dessen Politik einer ausländischen Infiltration Tür und Tor öffne; und dass er das Land für dreckiges Geld an den Westen verkaufe.
Man denkt: Hoppla, der ist ja liberaler als manch Konservativer in Europa.
Welches Szenario ist denkbar, sollten die Reformisten an Boden gewinnen?
Wenn die Reformkräfte Aufwind erfahren, wird man Veränderungen in der iranischen Politik bemerken können: etwa verstärkte Bekämpfung der Korruption, gewisse Wirtschaftsreformen im Innern. Doch soviel ist gewiss: Wenn aus ihren Hoffnungen Taten werden sollen, dann braucht es noch viele umfassende Reformen im Land: Erleichterungen der internationalen Handelsbeziehungen, Veränderungen in der Wirtschaftsgesetzgebung und so fort. Die Hürden und Risiken für ausländischen Unternehmen sind nach wie vor sehr hoch.
Um noch einmal auf das Medieninteresse zurückzukommen, das dem Iran auch aus dem Westen zuteil wird: Fühlt sich der Iraner eigentlich richtig dargestellt?
Im Gegenteil. Er fühlt sich vom Westen fast permanent missverstanden. Das erlebe ich selbst. Mit unserer westlichen Sicht- und Denkweise laufen wir permanent in Zerrbilder des Iraners hinein. Bis ein Europäer den Iran und sein Volk wirklich versteht, muss er mindestens zehn Jahre im Land leben.
Können Sie uns ein Beispiel geben für dieses Missverstehen?
Wenn wir zum Beispiel einen Ayatollah – einen islamischen Rechtsgelehrten – sehen, dann gehen wir automatisch davon aus, einen ultra-konservativen Mann vor uns zu sehen. Dann spricht dieser Ayatollah von Geschlechtsumwandlungen und dass er das gut findet! Also denkt man: Hoppla, der ist ja liberaler als manch Konservativer in Europa. Doch dann redet er über Homosexualität und dass das verboten sei und schlecht. Und dann merkt man, dass unsere Kategorien zum Beispiel von liberal und konservativ schlicht nicht die gleichen sind. Solche Beispiele gäbe es viele weitere.
Das Gespräch führte Christine Spiess
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Bild 1 von 12. Im März 1951 wird Mohammed Mossadegh zum Premierminister gewählt. Er ist Mitglied der Nationalen Front. Das Parteienbündnis steht in der Opposition zum amtierenden Schah. Das Ziel: die nationale Unabhängigkeit des Irans und die Verstaatlichung der Ölwirtschaft. Letzteres setzt er auch im Parlament durch. Bildquelle: Imago.
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Bild 2 von 12. Der Konflikt mit dem Herrscher Irans, Schah Mohammed Reza Pahlavi (Bild), ist vorprogrammiert. Das Land leidet unter einer Finanzkrise und die Rechte des Schahs werden vom Parlament eingeschränkt, Teile seiner Ländereien konfisziert. Der weltweite Druck auf das Land steigt. Fast alle internationalen Ölfirmen boykottieren den Iran. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 12. 1953 versucht der Schah seinen politischen Widersacher, den iranischen Premierminister Mossadegh, zu stürzen. Der Versuch scheitert. Im Bild: 16. August 1953, iranische Soldaten vor dem Polizeihauptquartier in Teheran. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 12. Nach dem missglückten Staatsstreich flieht der Schah Reza Pahlavi (R) zusammen mit seiner Ehefrau Soraya Esfandiari Bakhtiari nach Paris. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 12. Ölembargo, Finanzkrise, Demokratiebestrebungen sowie die Spannungen zwischen dem Schah und Premier Mossadegh hinterlassen Spuren im Land: In den grossen Städten kommt es zu Demonstrationen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 12. Premier Mohammed Mossadeghs Freude über die Flucht des Schahs währt nur kurz. Am 19. August 1953 führen Teile der iranischen Armee mit Hilfe des US-Geheimdienst CIA einen erfolgreichen Staatsstreich durch. Die USA befürchten eine Annäherung Mossadeghs an die Sowjetunion. Er ergibt sich und der Schah kehrt aus dem Exil zurück. Bildquelle: Imago.
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Bild 7 von 12. Der Schah leitet in den Jahren danach widerwillig demokratische Reformen ein. Doch er steigt zum Alleinherrscher auf – trotz schwerer Unruhen in den 1960er- und 1970er-Jahren. Religiöse Führer spielen dabei eine tragende Rolle. Allen voran: Ajatollah Ruholla Chomenei. Im Januar 1979 kommt es zur grossen Revolution. Der Schah flieht nach Paris. Bildquelle: Keystone.
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Bild 8 von 12. Die Revolution gegen den Schah versetzt den Westen in Alarmstimmung. Die USA betrachten den Schah als Garant für Stabilität. Für sie ist er ein Gegengewicht zum harten Kurs arabischer Regime und palästinensischen Hardlinern in der Region. Im Bild: Strassenszene während einer Demonstration in Teheran, 1978. Bildquelle: Keystone.
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Bild 9 von 12. Der schiitische religiöse Führer Ayatollah Ruhollah Chomeini trifft zwei Wochen nach der Flucht des Schahs in Teheran ein. Bildquelle: keystone.
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Bild 10 von 12. Bereits vor der Revolution hat die Regierung die Forschung im Bereich Atomenergie vorangetrieben. Der Schah will die Energieversorgung des Landes damit ergänzen. Doch die Forschung wird aufgrund der innenpolitischen Entwicklungen unterbrochen. So werden die Arbeiten am Bau des Reaktors in Buschehr erst im Jahre 1979 fortgesetzt. Bildquelle: wikipedia.org.
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Bild 11 von 12. Der Iran betonte stets den zivilen Nutzen der Atomenergie. Doch der Westen warf Teheran vor, ein Atomwaffenprogramm zu betreiben. Sanktionen werden verhängt. Mit dem Amtsantritt von Präsident Mahmud Ahmadinedschad im Jahr 2005 erhält der Streit neuen Auftrieb. Im Bild: Ahmadinedschad beim Besuch der Urananreicherungsanlage in Natanz. Bildquelle: Reuters.
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Bild 12 von 12. Mit dem Amtsantritt von Hassan Rohani im Jahr 2013 kommt es zu Fortschritten im Atomstreit. Rohani setzt vermehrt auf den Dialog, um so die Wirtschaftssanktionen zu lockern. Dies zeigte sich bereits bei den Atomgesprächen, die er vor seiner Wahl geleitet hatte. Im Juni 2015 ist es soweit: Es kommt zur Einigung, die Sanktionen werden gelockert.. Bildquelle: Reuters.