Nigel Inkster ist kein Besserwisser. Der frühere Chefspion und heutige Terrorismusexperte beim britischen Strategieinstitut IISS hält sich zurück mit Kritik an Amerikanern, Golfarabern oder Iranern, die allesamt mit dem «Islamischen Staat» nicht fertig werden.
Aber Inkster ist überzeugt: Auch auf dem bevorstehenden G7-Gipfel werden alle ratlos sein. Schlicht und einfach weil das Problem gewaltig ist und ausserdem völlig neu.
Was der IS verkörpere, sei einzigartig, erklärt Inkster. Die Organisation gehe so brutal vor, dass selbst Al-Kaida auf Distanz gehe. Und anders als das alte islamistische Terrornetzwerk sei der IS mit grossem militärischem Sachverstand ausgestattet. Dank den alten Anhängern von Diktator Saddam Hussein. Dessen frühere Militärstrategen und Kommandanten sind zu den Islamisten übergelaufen.
Der IS funktioniert wie eine Mischung aus einem multinationalen Konzern und einer Regierung.
Die IS-Führung ist laut Inkster kompetent und hervorragend organisiert. So gut, dass selbst die – mehrfach behauptete – Ausschaltung ihres Anführers, des selbsternannten Kalifen Abu Bakr Al-Bagdadi, den IS nicht kopflos zurückliesse.
Militärisch geschickt, ideologisch fundiert, ökonomisch abgesichert und administrativ bewandert – kurz: ein sehr ernstzunehmender Gegner. Dazu komme eine eindrückliche Flexibilität. Der IS verhalte sich wie ein Ballon: Presse man ihn an einer Stelle zusammen, dehne er sich anderswo aus.
Erfolgreiche Propaganda zieht Kämpfer aus aller Welt an
Nach den Worten von Inkster dominiert der IS zugleich weltweit die Darstellung über sich selber. Er sei propagandistisch raffiniert und seinen Gegnern stets eine Nasenlänge voraus.
In der inzwischen grossen Welt des islamischen Extremismus sei der IS die bisher grösste Erfolgsgeschichte. Erfolg zeugt Erfolg. Und deshalb schlössen sich von Libyen über Nigeria bis Asien Terrorzellen dem IS an. Und er könne mehr freiwillige Kämpfer aus aller Welt rekrutieren als je zuvor eine islamistische Terrororganisation. Rund 25'000 sind es bisher.
Irakische Regierung als Teil des Problems
Inkster hält die bisherigen Militärschläge gegen den IS nicht für überflüssig. Doch obschon sogar die Erzfeinde USA und Iran heimlich zusammenspannten, gelinge ihnen kein Sieg. Zumal die sektiererisch schiitische irakische Regierung es immer noch versäume, auch Sunniten und Kurden zu integrieren.
Und auch weil in Syrien eine valable Alternative fehle: Weder seien das andere islamistische Gruppen noch das Assad-Regime. Dieses habe sich zwar länger gehalten, als fast alle meinten. Doch jetzt gehe ihm buchstäblich das kämpfende Personal aus.
Die grossen Rekrutierungsländer sind machtlos
Noch fehlt also ein Rezept gegen den IS vor Ort. Und auch gegen die kampferprobten IS-Kämpfer, die irgendwann in ihre Heimat zurückkehren und dort Terroranschläge verüben werden, wird der G7-Gipfel keines präsentieren können.
Ganz aussichtslos ist die Überwachung des IS für afrikanische, nahöstliche und asiatische Länder.
Das Hauptproblem: Aufgrund der enormen Zahl dschihadistischer Kämpfer sei deren lückenlose Überwachung selbst in gut organisierten westlichen Staaten unmöglich. Ganz aussichtslos sei das für afrikanische, nahöstliche und asiatische Länder. Ihnen fehlten die geheimdienstlichen und polizeilichen Fähigkeiten des Westens. Aber von dort stammten die allermeisten Dschihadismus-Touristen.
Inkster will nicht dramatisieren. Aber er sagt deutlich: Es gibt gute Gründe, sich Sorgen zu machen.