SRF News: Treibt vor allem Rache die jordanische Regierung an oder ist es mehr?
Fredy Gsteiger: Die Rache ist sicher ein ganz grosser Beweggrund für die Entscheidung des Königs, sich intensiver am Kampf gegen den sogenannten islamischen Staat zu beteiligen. Die Empörung in Jordanien über die grausame Ermordung des Piloten, der bei lebendigem Leib verbrannt worden ist, ist enorm.
König Abdullah will ein Zeichen setzen und weiss im Moment die Bevölkerung hinter sich. Er hat gesagt: «Wir kämpfen für den Glauben, für unsere Werte, für die Menschlichkeit.» So denken viele Jordanier. Bislang war die jordanische Beteiligung am Kampf gegen den IS eher symbolisch. Das hat sich nun massiv geändert.
Wie stark ist Jordanien militärisch?
Jordanien hat eine relativ starke, gut organisierte und auch gut ausgerüstete Armee. Wenn man bedenkt, dass es ein kleines Land mit einer kleinen Bevölkerung ist. Vor allem die Luftwaffe mit westlichen Flugzeugen ist recht stark. Die Piloten sind im Westen, vor allem in den USA und in Grossbritannien, ausgebildet worden – übrigens König Abdullah selber auch. Er war ein Kampfpilot. Zudem gibt es viele westliche Berater in der jordanischen Armee. Aber das grundsätzliche Problem ist auch hier: Es ist enorm schwierig, mit einer klassischen Armee eine Terrormiliz wie den islamischen Staat wirklich zu besiegen.
Das heisst also, wenn Jordanien mit seiner klassischen Armee den IS nicht signifikant schwächen kann, betreibt sie vor allem psychologische Kriegsführung. Im Sinne von: Wir zeigen jetzt Entschlossenheit.
Ich denke, der psychologische Effekt ist wichtig. Es geht um Symbolik. Natürlich kann die jordanische Armee den IS schwächen, aber wahrscheinlich nicht nachhaltig besiegen. Genauso wenig wie das die Nato in Afghanistan mit den Taliban vermocht hat. König Abdullah will aufzeigen, dass die Muslime, auch die sunnitischen Muslime, mehrheitlich nicht hinter dem IS stehen, dass sie dessen menschenverachtende Ideologie ablehnen. Weil er weiss, dass die Bevölkerung in dieser Frage hinter ihm steht, will er versuchen, Jordanien zusätzlich zu stärken und zu einigen.
Jordanien grenzt an Syrien und an Irak. Ist es auch von der räumlichen Nähe her klug, den Kampf gegen den IS in diesem Moment zu intensivieren?
Es ist für Jordanien ziemlich heikel. Jordanien gilt als ruhiges Land, sogar als Hort der Stabilität in einer sehr instabilen Gegend. Amman ist eine der wenigen östlichen Hauptstädte in der nach wie vor wichtige internationale Konferenzen stattfinden. Aber hinter den Kulissen ist Jordanien nicht so stabil. Es wird von einer Minderheit regiert, den Haschimiten, denen auch König Abdullah angehört. Die Mehrheit der Bevölkerung im Land sind Palästinenser. Es gibt viele Flüchtlinge im Land aus Irak und Syrien. Es gibt aber durchaus auch jordanische Kämpfer, die Anhänger des IS sind und für die Terrororganisation in Syrien kämpfen.
Sehen Sie eine Gefahr für die Region – dass die Situation weiter eskaliert?
Diese Gefahr besteht durchaus. Vermutlich ist das sogar das Ziel des IS. Man möchte den Kampf, der im Moment in Syrien und im Irak stattfindet, auf Jordanien ausweiten: Deswegen der symbolische Akt der grausamen Ermordung des jordanischen Piloten. Man hofft beim IS vermutlich, einen Keil zwischen das Königshaus der Haschimiten und zumindest Teile der Bevölkerung zu treiben.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.