Im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sieht US-Präsident Barack Obama eine «neue Phase». Die laufenden Luftangriffe hätten «sehr wirksam» ihren Vormarsch verlangsamt.
Man sei jetzt in einer Position, etwas in die Offensive zu gehen, sagte Obama im Gespräch in der Sendung «Face the Nation» auf dem TV-Sender CBS. «Was wir jetzt brauchen, sind Bodentruppen, irakische Bodentruppen, die damit beginnen, den IS zurückzudrängen», sagte Obama. Er hatte am Freitag die Entsendung zusätzlicher 1500 US-Soldaten in den Irak angekündigt. Die Amerikaner dort würden keine Kampfeinsätze leisten, sondern bei der Ausbildung irakischer Truppen helfen.
3500 US-Soldaten im Irak – Vorhut für eine Bodenoffensive
Michael Lüders, Nahost-Experte sagte dazu in der Sendung «10vor10», dass mittlerweile bereits 3500 US-Soldaten im Irak offiziell die irakische Armee ausbildeten. «Aber tatsächlich handelt es sich dabei wohl um eine Vorhut einer geplanten Bodenoffensive. Die Amerikaner wissen auch, dass man mit Luftangriffen allein den IS nicht besiegen kann. Aber die einzigen Bodentruppen, die gegen den IS zur Verfügung stünden, wäre die Armee von Bascher al-Assad, dem syrischen Präsidenten. Aber der gilt im Westen als grosser Feind, also wird man nicht sein Bündnis suchen.»
Den von Präsident Obama genannte Erfolg der Luftschläge beurteilt Michael Lüders kritisch. Die Äusserung Obamas sei der Versuch, die Öffentlichkeit positiv zu stimmen, dass der Kampf erfolgreich sei. «Wenn man sich aber vor Augen hält, dass die Amerikaner im Irak und Syrien täglich 60 bis 70 Luftangriffe fliegen – damals in Vietnam waren es 2000 pro Tag – kann man allein aus diesen Zahlen ermessen, das diese Luftschläge nur eine begrenzte Wirkungen haben», schätzt Lüders.
Es sei grundsätzlich nicht möglich, eine Terrororganisation wie die Guerillatruppe des IS aus der Luft zu zerstören. Die USA würden sich ja bereits darauf vorbereiten, irakische Soldaten – einmal mehr – auszurüsten für den Kampf gegen den IS. «Das Ergebnis war schon einmal zu sehen, als im Juni 10‘000 irakischen Soldaten beim Anblick des IS geflüchtet sind.»
Das Risiko der USA bei einer erneuten Einmischung im Irak ist gross. Wenn sich die Amerikaner in einen Bodenkrieg einlassen würden, sei die grosse Frage, wie man da wieder raus komme. Lüders meint, dass die USA von 2003 bis 2011 als Besatzungsmacht im Irak waren und damit eigentlich die Grundlagen geschaffen haben für das Entstehen des IS. «Jetzt also das Feuer zu löschen, indem man weiter Benzin hineingiesst, erscheint nur begrenzt vernünftig.»
Die westliche Politik wolle etwas tun, bedenke aber nicht die Folgen. «Der IS wartet nur darauf, dass die Amerikaner und Europäer mit Bodentruppen einmarschieren, um ihnen dort eine schmerzhafte Niederlage zuzufügen», schätzt Lüders. Damit würde sich der IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi, der sich selber «Kalif Ibrahim» nennt, als der neue Sultan Saladin stilisieren, der grösste Held der muslimischen Welt, der 1187 Jerusalem eroberte und Gegenspieler der christlichen Kreuzritter war. Dass wäre für Lüders eine propagandistische Werbung für den IS-Führer, wie sie es sich keine Werbeagentur besser ausdenken könnte.
Was ist mit IS-Anführers «Kalif Ibrahim» Abu Bakr al-Baghdadi?
Nach einem Luftangriff auf den IS am Freitag gibt es inzwischen neue Berichte über Verletzungen des IS-Anführers Abu Bakr al-Baghdadi. Irakische Regierungsstellen und der Staatssender Irakija meldeten am Sonntag, Al-Baghdadi sei getroffen worden. Das US-Zentralkommando in Tampa/Florida teilte aber mit, es lägen keine entsprechenden Informationen vor.
Kampfflugzeuge der USA hatten einen Konvoi mit zehn Fahrzeugen mit IS-Anführern angegriffen. Dabei seien «viele» Extremisten, darunter zwei regionale Chefs, getötet worden, zitierte die «New York Times» einen irakischen Kommandanten und einen Sicherheitsbeamten.
Könnte Al-Baghdadi allenfalls ums Leben gekommen sein? Für Michael Lüders, der sich seit langem mit dem IS beschäftigt, wäre der Tod des «Kalifen Ibrahim» nur ein psychologischer Erfolg, aber keine Sieg über den IS. Denn die Terrororganisation würde auch ohne ihn funktionieren – es würde ein anderer Führer nachfolgen.
Darum sei ein Kampf gegen den IS voraussichtlich sehr langwierig. Das dümmste, was westliche Politik machen könne, sei sofort nach Lösungen zu rufen. «Man sollte zuerst die Entwicklung vor Ort abwarten. Es gibt sehr viel Unzufriedenheit und Kritik vieler sunnitischer Stämme wegen der Brutalität und dem Vormachtstreben des IS. Man muss warten, bis hier Risse entstehen.» Von aussen könne man den IS nicht dauerhaft bekämpfen, man könne nur seinen Vormarsch an den Rändern aufhalten, glaubt Lüders.