Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) soll fast die Hälfte des von ihr kontrollierten Gebiets verloren haben. Das sagt Brett McGurk, der Sondergesandte von US-Präsident Obama für die internationale Anti-IS-Koalition.
Alleine im Irak habe der IS dank der Luftschläge der internationalen Militärkoalition rund 40 Prozent des eroberten Territoriums verloren. Dies sei innerhalb der vergangenen zwölf bis 18 Monate geschehen.
Daten sind irreführend
Doch wie glaubwürdig sind diese Informationen? Für Roland Popp, Nahost-Experte an der ETH Zürich, sind die Daten der USA irreführend, weil die besetzten Gebiete oft auch unbesiedelte Wüstenregionen beinhalten, die von geringer Bedeutung sind: «Verliert der IS eine Stadt, wird auch das ganze umliegende irrelevante Gebiet als befreit angesehen.»
Auch SRF-Nahost-Korrespondent Philipp Scholkmann will die Daten nur mit Vorsicht geniessen. Oft seien die Gebiete nur sehr dünn besiedelt und es sei nicht klar, wie weit die Kontrolle einer Partei greife und ob eine Eroberung überhaupt nachhaltig gewesen sei.
Kurt Pelda glaubt an das Ende
Sowohl für Popp als auch für Scholkmann steht aber fest, dass der IS unter erheblichem Druck steht und bei der Verteidigung seiner Gebiete relativ erfolgslos war.
Während die USA von Gebietsverlusten von knapp 50 Prozent ausgehen, schätzt das US-Analyse-Unternehmen Information Handling Services (IHS) die Verluste des IS auf 14 Prozent gegenüber Januar 2015.
Die Verlustzahlen des IHS sind für den Schweizer Kriegsreporter Kurt Pelda sehr glaubhaft. Für ihn steht der IS aber nicht nur unter grossem Druck, sondern befindet sich überdies als staatliches Gebilde am Abgrund. Es gebe bereits erste Berichte, wonach sich IS-Führer nach Libyen abgesetzt hätten. «In sechs bis zwölf Monaten könnte der Islamische Staat in Syrien zusammenbrechen.»
Dabei werde er nicht als Organisation verschwinden und wohl auch noch einzelne Territorien behalten, aber kein zusammenhängendes Gebiet mehr kontrollieren. «Denn der IS war bisher nicht in der Lage, sich gegen organisierte Truppen zu verteidigen, die Unterstützung von Kampfjets erhalten», argumentiert Pelda. Vor allem die Kurden hätten dank der US-geführten Luftunterstützung grosse Erfolge erzielt.
IS beinahe isoliert
An der Grenze zur Türkei konnten sie zwei Kantone in Syrien verbinden und so dem IS einen grossen Teil ihrer Nachschublinien abschneiden. Nur noch ein kleiner Teil des Grenzgebiets im Nordwesten Syriens liegt in den Händen der Terrormiliz. Laut Pelda ist das eine Katastrophe für den IS. Das Ziel der Kurden und des Assad-Regimes sei es nun, den IS vollständig zu isolieren.
- Die Truppen des syrischen Präsidenten Assad haben dafür eine Offensive östlich von Aleppo gestartet und bereits einen wichtigen Militärflugplatz eingenommen.
- Die Kurden haben kürzlich einen Staudamm eingenommen und sind zum ersten Mal ans Westufer des Euphrat vorgestossen.
Die IS-«Hauptstadt» Raqqa werde wohl erst angegriffen, wenn die Versorgung des IS aus der Türkei vollständig unterbunden sei, sagt Pelda.
Im Irak wird es länger dauern
Nahost-Experte Roland Popp sieht, dass der IS auch im Irak erhebliche Gebietseinbussen hat einstecken müssen. «Die irakische Regierung und schiitische Milizen haben Sinjar, Tikrit und Baidschi zurückerobert. Durch den Verlust von Ramadi hat der IS mit der Ausnahme von Mosul keine Grossstadt mehr unter Kontrolle.» Und auch sie könnte bald von der syrischen Nachschublinie getrennt werden. Der Nahost-Experte geht davon aus, dass der IS mittlerweile unter so starkem Druck steht, dass er nun alles daran setzt, seine Kerngebiete zu halten.
Kriegsreporter Kurt Pelda glaubt aber, dass sich die Terrormiliz im Irak länger halten wird als in Syrien. Der IS werde von vielen Irakern geführt. Entsprechend werden diese in ihrer Heimat nicht als fremde Invasoren angesehen, wie dies in Syrien der Fall sei. Ausserdem führten die schiitischen Milizen im Irak einen dermassen brutalen Krieg, dass sich viele zur Not hinter den IS stellen würden.
(Sendebezug: SRF 4 News, 6.1.16, 7:30 Uhr)