International - «Der Islamische Staat wird Palmyra in Geiselhaft nehmen»
Die Terrormiliz IS steht vor den Toren der syrischen Stadt Palmyra. Das Unesco-Weltkulturerbe droht der Zerstörungswut der «Gotteskrieger» anheim zu fallen. Für sie wäre die Einnahme der Ruinen-Stadt aber vor allem eins: Die Gelegenheit für den nächsten Propaganda-Coup, sagt ein Archäologe.
Die Bilder aus dem Museum von Mossul wirken nach: Mit einem Vorschlaghammer zerstören Bärtige meterhohe assyrische Türhüterfiguren – und damit ein Stück Kulturgeschichte. Jetzt steht die Terrormiliz IS vor den Toren des Unesco-Weltkulturerbes Palmyra. Die syrische Ruinen-Stadt ist, wie der Archäologe Mirko Novak von der Universität Bern erklärt, ein Schmelztiegel der Kulturen des Orient und Okzidents.
Überdauert haben babylonische, persische, römische und arabische Kulturgüter. Die malerische Wüstenoase gehört zum Pflichtprogramm Kulturreisender. Und neben der Altstadt von Aleppo und der Umayyaden-Moschee zum bedeutendsten kulturellen Erbe Syriens.
Propaganda im Kleid der Frömmigkeit
Auch hier droht die Terrormiliz nun, so zumindest die Botschaft, alles «unislamische», jede Reminiszenz an vermeintliche Götzenverehrung, zu tilgen. Was wie ein blinder Akt der Barbarbei wirkt, folgt einer kruden Logik: «Erlangt der IS die Kontrolle über Palmyra, wird er es in eine Art ‹Geiselhaft› nehmen», mutmasst Novak. «Und der ‹Islamische Staat› wird erst ‹tätig› werden, wenn es für ihn einen speziellen Zweck erfüllt.»
Appell der Unesco
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Mit Blick auf vorrückende Truppen der Terrormiliz IS hat die Unesco vor Übergriffen auf Palmyra in Syrien gewarnt. Die UNO-Organisation sprach von einem einzigartigen Relikt aus dem ersten Jahrhundert und einem architektonischen Meisterwerk. Sie forderte die Einstellung der Kämpfe und appellierte an alle Konfliktparteien, Palmyra zu schützen.
Und dieser folgt einem penibel durchdachten Propaganda-Schlachtplan – der sich an verschiedene Adressaten richtet: «Der Westen soll schlichtweg verstört werden. Der IS ist sich der Ohnmacht bewusst, den die Zerstörung der Kulturgüter auslöst. Diese will man offenlegen.»
Gegen den «inneren Feinden», Irak und Syrien, richte man derweil eine andere Botschaft: «Man inszeniert sich als Gegenpol zu den nationalistisch ausgerichteten Regierungen.» Denn auch sie legitimierten sich über die Kulturschätze des Landes; etwa die irakische Regierung, die jüngst stolz das neue Nationalmuseum in Bagdad einweihte.
«Am gleichen Tag veröffentlichte der IS die Videos mit den Zerstörungen in Mossul», sagt Novak. Mit der Macht der Bilder sendet das selbsternannte Kalifat zwischen Mittelmeer und Zweistromland die Botschaft aus: Euer kulturelles Erbe, und damit auch eure Legitimation und nationale Identität, verschwindet.
Audio
IS bedroht Weltkulturerbe Palmyra
05:43 min, aus Echo der Zeit vom 15.05.2015.
Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 43 Sekunden.
Geschäftstüchtige Gotteskrieger
Das kühl-kalkulierte Vorgehen des IS spiegelt sich zuletzt auch in seiner regen Beteiligung am Handel mit Kunstschätzen wider. Der religiöse Zerstörungseifer tritt dann zurück, wenn es um finanzielle Interessen geht. «Was sie treiben, ist lange nicht so ideologisch durchsetzt, wie es nach aussen hin zelebriert wird», so Novak.
Denn wie andere Rebellen- und Islamistengruppen verdient auch der IS eifrig an der Auflösung der staatlichen Strukturen in Syrien. Novak rechnet denn auch damit, dass sich der Handel mit Kunstschätzen aus Palmyra intensivieren könnte – sollte der IS tatsächlich die Kontrolle übernehmen. «Welche Objekte und in in welcher Zahl sie gehandelt werden, können wir aber nicht einschätzen. Denn das Geschäft läuft unter dem Tisch.» So bleibt trotz der gesteuerten «Zerstörungswut» des Islamischen Staats eine Gewissheit: auch Kunstschätze, die die Terrormiliz aus Geschäftsinteresse hütet, könnten für immer verloren sein.
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