Es gibt etwas, das Martin Schulz zutiefst frustriert haben dürfte: Als EU-Parlamentspräsident war er in den letzten fünf Jahren zwar bei jedem Gipfel der Staats- und Regierungschefs mit dabei, er durfte zu Beginn auch das Wort an die Chefs richten, er durfte dann auch noch aufs Gruppenfoto: Das wars dann aber.
Im Anschluss diskutierten die Chefs weiter – Schulz aber musste gehen. Er war schliesslich nur der Präsident des EU-Parlaments. Dafür gab ihm dies die Freiheit, zu sagen, was er dachte.
Er warnte vor der Flüchtlingskrise
Vielleicht als Erster warnte Schulz während der Flüchtlingskrise 2015 davor, dass auch die EU scheitern könnte. Er kritisierte vor allem die Staats- und Regierungschefs immer wieder scharf. Diese sagten in Brüssel oftmals Ja zu gemeinsamen Lösungen, zurück in ihren Hauptstädten wollten sie davon aber nichts mehr wissen.
Der Europäer, Mahner und Kritiker
Martin Schulz stand für die offiziellen Brüsseler Positionen. So bezeichnete er etwa die Griechenlandhilfe als gerecht, und er forderte eine Verteilung der Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten der EU.
Als Präsident des EU-Parlaments sorgte Schulz in den letzten Jahren dafür, dass das Parlament die Politik von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stets unterstützte. Martin Schulz war also der Europäer, der Mahner und der Kritiker. Er als Kanzlerkandidat ist sicher ein Zeichen, dass die SPD für Europa einsteht, aber eben: mehr nicht.
Unbeschriebenes Blatt oder glaubwürdige Alternative?
Auch wenn Schulz in Brüssel als Draufgänger beschrieben wird: Seine Macht war beschränkt, und eigentliche Verantwortung musste er in den letzten Jahren keine übernehmen. Verantwortung, für die er nun gerade stehen müsste. Niemand weiss, wie er die vielen Krisen als Regierungsmitglied oder gar als Kanzler bewältigt hätte.
Auch in innenpolitischen Fragen ist er ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Das ist sein Defizit. Parteistrategen dürften dies als frischen Wind von aussen zu verkaufen versuchen, der eine glaubwürdige Alternative zu Angela Merkel ist.