Sprechen sich die Briten am 23. Juni tatsächlich für den Austritt aus der Europäischen Union aus, dann wird er der Mann der Stunde sein: Boris Johnson, Gesicht und Star der «Brexit»-Kampagne. Er ist massgeblich dafür verantwortlich, dass die konservativen Tories derzeit Kopf stehen. Ein regelrechter «civil war» tobt laut den lokalen Medien innerhalb der Partei. Doch wer ist dieser wuschelhaarige Querschläger, der seinem ehemaligen Studienkollegen Cameron den Posten streitig macht und die parteiinternen Querelen genüsslich anheizt?
Klar ist: Hoch hinaus wollte der 1964 in New York geborene Johnson seit eh und je. Geradezu bezeichnend die Antwort von Klein-Boris auf die Frage, was er später mal werde. «Er sagte immer, er wolle Weltkönig werden», sagte seine Schwester Rachel Johnson kürzlich in der «Rundschau». «Er dachte wirklich, er erfülle jedes Kriterium für diesen Job.»
Ein pickliger Streber
Strotzend vor Selbstbewusstsein war der Spross einer intellektuellen Familie also schon immer, ambitioniert sowieso, beliebt indes nicht unbedingt. Er sei als Kind «extrem picklig, ein totaler Nerd und furchtbar streberhaft» gewesen, so Johnson über sich selbst. «Unter einem guten Tag stellte ich mir vor, mit der U-Bahn durch London zu fahren, um das Britische Museum zu besuchen.»
Seine Neugier und sein Ehrgeiz zahlten sich aus: Am elitären Eton College wie auch in Oxford, wo er Altertumswissenschaften studierte, machte er mit Bestnoten auf sich aufmerksam – und mit seiner Streitlust im Debattierclub. Geradezu ein Mauerblümchen-Dasein fristete im direkten Vergleich dazu der zwei Jahre jüngere und bemüht angepasste David Cameron, der dieselben Schulen besuchte.
Wegen verfälschtem Zitat gefeuert
Nach dem Studium hinterliess Johnson erste Spuren im Journalismus, und zwar auf höchst spektakuläre Weise: Den Praktikumsplatz bei der «Times» verlor er innert kürzester Zeit, weil er ein Zitat verfälscht hatte. Seiner Karriere tat dies keinen Abbruch. Bereits 1989 war er für den «Daily Telegraph» als Korrespondent in Brüssel, wo er sich als EU-Gegner schillernd in Szene setzte und die ausufernde Bürokratie der Behörden beklagte.
Auch wenn er schliesslich an der Spitze des konservativen «Spectators», Blatt der intellektuellen Tories, landete: Politische Ambitionen verneinte «Bojo», wie er vom britischen Boulevard genannt wird, lange Zeit vehement. Er würde lieber schlüpfrige Romane schreiben, als fürs britische Unterhaus zu kandidieren, hiess es. 2001 wurde er dennoch Parlamentarier – dank oder trotz eines Witzes seinerseits, der zu einer Art Wahlslogan mutierte: «Wenn Sie Tory wählen, wird Ihre Frau grössere Brüste haben, und Sie werden Ihre Chancen auf einen BMW erhöhen!»
Next Stop Downing Street?
Seit 2008, als Johnson überraschend gegen den Linken Ken Livingstone triumphierte, ist der chaotische Lebemann nun Bürgermeister von London. Seine Maske des Witzboldes hat er jüngst aber abgelegt. Denn eine Lachnummer landet kaum in der Downing Street 10 – und genau da will er hin, wie sich Polit-Beobachter einig sind. Dass er den Posten des Premierministers anstrebe, ist auch für Biographin Sonia Purnell «so sicher wie das Amen in der Kirche». Der heute 51-Jährige habe seit Jahren bloss auf den richtigen Moment gewartet, um zuzuschlagen.
Besser als jetzt standen seine Chancen nie. Die EU-Frage ist längst mehr als ein Zankapfel für die Partei, und sein ewiger Rivale Cameron verliert an Unterstützung. Der Vorwurf, Johnsons EU-Ablehnung sei lange geplantes politisches Kalkül und diene in erster Linie dazu, ihn endlich an die Spitze zu katapultieren, steht allerdings offen im Raum.So ist seine Stellung innerhalb der Tories denn auch diffizil.
Unverhohlenes Misstrauen
«Wer wie er EU-skeptisch ist, unterstützt ihn mehr oder weniger begeistert», sagt SRF-Korrespondent Urs Gredig. Die anderen sähen ihn als Spalter, der der Partei aus Eigeninteresse schade. «Doch selbst bei jenen, die ihm in der EU-Frage nah stehen, herrscht teilweise unverhohlenes Misstrauen – Johnson ist innerhalb von Westminister weit weniger beliebt als bei der Parteibasis, wo er sehr hohe Umfragewerte erzielt.»
Der Betroffene selbst lässt sich vom Misstrauen seiner Polit-Kameraden nicht erschüttern, er sieht sich ganz der Sache verpflichtet. «Die Idee einer engen Union mit all diesen verschiedenen Ländern ist ein politischer Anachronismus, davon müssen wir uns lösen. Die Macht muss zum Volk zurück.»
Fest steht zum jetzigen Zeitpunkt einzig: Weltkönig ist Boris Johnson auch nach der Brexit-Abstimmung am 23. Juni nicht – vielleicht aber auf seinem politischen Zenit angekommen.