Angela Merkel regiert Deutschland seit 2005. Die 59-Jährige hat sich in dieser Zeit zahlreicher Krisen zur «Mutti der Nation» hochstilisieren lassen – und wird nun von ihren Anhängern erneut als Wahlsiegerin gefeiert.
Der deutsche Politikwissenschaftler Gero Neugebauer kennt das Geheimnis des Erfolges der Bundeskanzlerin.
SRF: Was hat die Wahlsiegerin, die CDU, richtig gemacht?
Gero Neugebauer: Die Union hat eine geschickte Strategie gehabt. Sie hat immer von einem Lagerwahlkampf gesprochen und damit Ängste unter Wählern geweckt. Etwa, dass wenn das Ergebnis zu Ungunsten der Union lauten würde, könnte das dazu führen, dass die politische Richtung sich ändert. Aber in Deutschland ändert sich die Richtung nicht, da werden höchstens Schlangenlinien gemacht.
Welche Rolle spielte dabei Angela Merkel?
Sie ist Teil des Konzepts. Die Union hat sie in die Mitte gestellt. Und zwar die Person Merkel in einer Art und Weise, die dazu geführt hat, dass der Begriff «Mutti» nicht polemisch, sondern positiv diskutiert worden ist. Man hat ihre persönlichen Eigenschaften hervorgehoben, man hat ihren Machtinstinkt gelobt, gesagt, dass sie keine offenen Herrscherallüren habe und «bella figura» in der Aussenpolitik mache. Letztlich entstand der Eindruck, es seien gar nicht so sehr die politischen Inhalte, sondern mehr die Befindlichkeiten, die die Mehrheit der Wähler veranlassen zu sagen: Das ist die richtige Person, der vertrauen wir weiter unser Schicksal an.
Gibt es ein «Lebensgefühl Merkel» in Deutschland?
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Polemisch gesagt: Es gibt so eine Art Mittelmässigkeit. Die drückt sich darin aus, dass die Deutschen sagen: «Wir wissen, dass es Themen gibt, die kontrovers diskutiert werden müssten. Aber wir sind auch zufrieden damit, dass sich die Situation nicht verändert.» Und zwar verändert in dem Sinn, dass ich befürchten muss, die Lage würde schlechter. Und in dem Moment, in dem die Bevölkerung sagt: «Ich lege mein Schicksal in die Hände von Frau Merkel, sie sorgt für mich wie eine Mutter», frage ich mich: Wer wählt schon seine eigene Mutter ab?
Das Gespräch führte Moderator Peter Vögeli im «Echo der Zeit».