SRF News: Welche konkreten Erwartungen hat man im Baltikum an den Besuch von US-Vizepräsident Mike Pence?
Fredy Gsteiger: Man erhofft sich Rückenstärkung durch die USA – und zwar sowohl politisch als auch militärisch. Lettland, Estland und Litauen sind nach dem russischen Vorgehen in Georgien, auf der Krim und in der Ostukraine verunsichert. Aus unserer westeuropäischen Sicht mag ein Angriff der Russen auf die baltischen Staaten als sehr unwahrscheinlich erscheinen. Doch im Baltikum wird das ganz anders gesehen. Viele Leute befürchten dort, ihr Land könnte innert weniger Stunden von der russischen Armee überrollt werden. Das hat auch mit den Versuchen Moskaus zu tun, die drei Staaten zu unterwandern – und sie damit in eine Art Informationskrieg zwingt. Angesichts dessen fordern die Balten mehr Rückhalt vom Nordatlantischen Militärbündnis Nato. Gleichzeitig irritiert sie die Tatsache, dass US-Präsident Donald Trump kein eindeutiges Bekenntnis zur Bündnispflicht abgibt.
Die Nato hat in den vergangenen Monaten bereits Militärpersonal ins Baltikum verlegt. Wie sieht diese Militärpräsenz derzeit aus?
Man muss vorausschicken, dass die Nato-Truppenstärke im Baltikum im Vergleich zu den russischen Truppen auf der anderen Seite der Grenze doch sehr bescheiden ist. Trotzdem ist die Stationierung ein Signal der Nato an Moskau. Bei den inzwischen einsatzbereiten Nato-Kampfgruppen handelt es sich um 1000 Mann unter britischem Kommando in Estland, 1000 unter kanadischer Führung in Lettland und 1000 in Litauen unter deutscher Führung. Hinzu kommen 1000 US-Soldaten in Polen. Diese Präsenz ist selbstredend weitgehend symbolisch. Einen massiven russischen Angriff könnten die Nato-Soldaten in keiner Weise aufhalten. Trotzdem ist es ein Zeichen an Moskau, dass ein Einmarsch ins Baltikum einen Preis hätte.
US-Vizepräsident Pence reist weiter nach Georgien, das Nato-Mitglied werden möchte, und Montenegro, das seit Kurzem Nato-Mitglied ist. Wollen die USA durch Pences Reise ein Zeichen der Stärke aussenden?
Tatsächlich deutet der Reiseplan von Pence darauf hin. Die Botschaft an die Adresse Moskaus lautet: ‹Wir akzeptieren nicht, dass ihr Osteuropa als euren Hinterhof und eure Einflusssphäre betrachtet. Wenn diese Länder beschliessen, sich dem Westen, also der EU oder der Nato, anzuschliessen, dann dürfen sie das, ohne dass es dazu ein russisches Veto geben darf.›
Zeigt die US-Regierung mit der Reise des Vizepräsidenten, dass sie sich wieder stärker zur Nato bekennt, nachdem Präsident Trump zur Nato auch zweifelhafte Aussagen gemacht hat?
Die US-Regierung versucht zumindest, das so darzustellen. Dahinter stehen vor allem das Pentagon sowie einflussreiche Vertreter der republikanischen Partei. Es sind Vertreter der klassischen republikanischen US-Aussenpolitik, bei der die Nato und die Westbindung – und auch die Aufrüstung – im Zentrum stehen. Doch Pence ist nur die Nummer Zwei in Washington. Es stellt sich deshalb die Frage, wie glaubwürdig das Bekenntnis der US-Regierung zur Nato tatsächlich ist, so lange von Präsident Trump und aus seinem Umfeld widersprüchliche Signale zum Transatlantischen Bündnis ausgesendet werden.
Das Gespräch führte Lukas Mäder.