SRF News: Die Euro-Finanzminister fordern härtere Massnahmen. Gibt es da ein gewisses Verständnis für die Haltung der Euro-Staaten oder fühlt man sich in Griechenland nur noch gedemütigt?
Corinna Jessen: Das Gefühl, von den Partnern und dabei vor allem von Deutschland in die Knie gezwungen worden zu sein, überwiegt ganz eindeutig. Niemand kann hier wirklich begreifen, wie die griechische Wirtschaft mit diesen Massnahmen wieder auf die Beine kommen soll. Es gibt zwar Verständnis dafür, dass nun die geforderten Strukturreformen umgesetzt werden müssen.
Aber das Paket sieht zugleich wieder Kürzungen und Steuererhöhungen vor, was eine weitere Rezession bringen wird. Das erleben die Griechen bereits seit fünf Jahren. Nun sollen sie auch noch ein erhebliches Stück Souveränität aufgeben und Vermögenswerte einer ausländischen Kontrolle überschreiben. Dass sie all diese Massnahmen mit dem Messer am Hals, wie griechische Zeitungen heute schreiben, akzeptieren müssen, um in Europa zu bleiben, empfinden sie schon als sehr demütigend.
Das griechische Parlament soll bereits bis Mittwoch über die Mehrwertsteuererhöhung und die Rentenreform befinden. Ist das realistisch?
Griechische Zeitungen sprechen hier spöttisch von den «Zwölf Geboten».
Aller Voraussicht nach wird dieser Katalog der ersten zwölf Massnahmen im Eilverfahren in einem einzigen Artikel durchs Parlament gepeitscht. Griechische Zeitungen sprechen hier spöttisch von den «Zwölf Geboten». Allerdings dürfte Premier Alexis Tsipras dabei seine Regierungsmehrheit verloren haben. Innerhalb der Regierungspartei Syriza ist ein regelrechter Krieg ausgebrochen. Ein Teil der Partei könnte sich abspalten. Damit wird Tsipras auf jeden Fall auf die Stimmen der Opposition angewiesen sein, und zwar auf die aller pro-europäischer Parteien.
Was ist von den Spekulationen über eine schnelle Regierungsumbildung zu halten?
Das hört man hier auch. Eigentlich ging man bereits gestern Abend davon aus, dass diese Regierungsumbildung bereits heute Morgen in aller Frühe stattfinden würde. Nun ist aber Tsipras ja noch gar nicht aus Brüssel zurück. Aber wahrscheinlich wird es im Laufe des Tages eine Regierungsumbildung geben, und vielleicht gar eine neue Machtverteilung im Parlament. So etwas wie eine Allparteien-Koalition oder eine Regierung der nationalen Einheit, die sich verpflichtet, alles zu tun, um das Land im Euro zu halten. Ob Tsipras einer solchen neuen Regierung weiter vorstehen wird, bleibt abzuwarten.
Wie viel Vertrauen geniesst Regierungschef Tsipras noch im Land, nachdem er nun in Brüssel selber ein Sparprogramm vorgelegt hat?
In der Bevölkerung geniesst Tsipras sehr grosses Vertrauen. Es steigt sogar. Bei den Griechen gilt er als der Einzige, der wirklich für bessere Bedingungen für die Menschen kämpft. Der aber dann von der EU und von vor allem von Deutschland in einer Weise erpresst worden ist, dass er dieses Programm unterzeichnen musste, um sein zweites Versprechen, den Verbleib im Euro, wahrzumachen.
Dass seine Partei zu einem grossen Teil diese Politik nicht mehr mitträgt, ist ideologisch nur konsequent. Gerade die so genannte linke Plattform sieht einen verräterischen Umschwung zu neoliberalistischen Kompromissen. Aber man muss sich klarmachen, dass sich die meisten Wähler ja nicht von einer Ideologie leiten liessen, als sie vor Tsipras stimmen. Sondern weil sie hofften, dass er wenigstens ein paar seiner Versprechen wird halten können und es mit ihm wenigstens ein klein wenig besser wird. Daher ist es kein Widerspruch, dass ihm seine eigene Partei, aber nicht die Wähler weglaufen.
Die Versorgungslage der Griechen wird immer schwieriger. Kommt da so etwas wie Hoffnung auf, das es nun womöglich neue Verhandlungen gibt über ein Hilfspaket?
Man hofft vor allem auf die Wiedereröffnung der Banken. Die Banken sind das dringendste Problem. Wenn sie noch länger geschlossen bleiben, dürfte noch der letzte funktionierende Teil der Wirtschaft sehr schnell zusammenbrechen. Deshalb war ja auch die griechische Forderung in Brüssel nach sofortigen Finanznothilfen so wichtig.
Aber auch wenn sich der Zahlungsverkehr wieder einigermassen normalisieren sollte, werden die Menschen die neuerlichen Einschnitte bald zu spüren bekommen. Dann ist die Frage, ob sich ihre Verzweiflung gegen Tsipras richten wird. Aber eine andere Kraft, die Alternativen verspricht und auch bietet, gibt es nicht mehr, wenn man einmal von der faschistischen Goldenen Morgenröte absieht.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.