Kathrin Hiss ist seit einem Monat auf der Balkanroute unterwegs. Die 29-jährige Bernerin ist eine von vielen privaten Helfern, die sich ad hoc und vor allem über die sozialen Medien organisiert haben, um den Tausenden erschöpften Flüchtlingen zumindest mit dem Nötigsten zu helfen.
Wie viele private Helfer kann sie nicht verstehen, warum die etablierten Hilfswerke nicht präsenter sind: «Ich bin sehr enttäuscht. Sie scheinen nach Handbuch zu funktionieren, statt zu sehen, was nötig ist.» Vor Ort seien die Hilfswerke zwar überall, «doch ihre Rolle ist oft unklar», sagt Hiss. Das Rote Kreuz mache manchmal um 15 Uhr Feierabend und arbeite nicht nachts, wenn es am prekärsten sei.
Kaum Organisationen am Strand von Lesbos
Ähnlich frustriert zeigt sich der Schweizer Michael Räber, der dort hilft, wo die Flüchtlinge landen – auf der griechischen Insel Lesbos. Er vermisst hier, wo er mit anderen Freiwilligen Menschen aus dem Meer rettet oder Tote aus den Fluten zieht, die grossen Organisationen: «Diese zehn Kilometer Strand, an denen die Flüchtlinge ankommen, werden ausschliesslich von Bürgern betreut.» Eine Ausnahme seien die Helfer des hellenischen Roten Kreuzes, das vor Ort sei und «viel leistet».
Kaum konkrete Informationen sind von Benoit Carpentier, Sprecher des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) zu vernehmen: «Auf den griechischen Inseln haben wir insgesamt rund 150 Mitarbeiter und Freiwillige im Einsatz.» Wieviele sind es konkret auf Lesbos?
Das kann ich Ihnen nicht genau sagen.
Ist es von Seiten der Hilfswerke Unwillen oder Überforderung? «Wir verstehen die Frustration darüber, dass die Hilfswerke nicht mehr machen», gibt Adrian Edwards, ein Sprecher vom UNHCR, unumwunden zu. «Aber es ist eine aussergewöhnlich dynamische Situation.» Die Lage ändere sich sehr schnell und die Staaten würden nicht zusammenarbeiten.
UNHCR: Nur 400 Leute in ganz Europa
«Bisher hatte das UNHCR in Griechenland nur zehn Leute in einem repräsentativen Büro. Jetzt haben wir auf rund 100 Leute aufgestockt», gibt Edwards zu bedenken. In ganz Europa habe man nur rund 400 Leute zur Verfügung.
Derzeit zügeln wir Mitarbeiter von anderen europäischen Projekten ab, um sie an der Balkanroute einzusetzen. Das geht aber nicht von heute auf morgen.
Auch Zora Schaad war vergangene Woche auf eigene Faust an der südserbischen Grenze, in Presevo. Es seien jeweils zwischen 15 und 30 private Helfer im Einsatz, so die Zürcherin. Es gäbe einen Registrierungsbereich, davor sei aber eine Warteschlange. Zwischen drei und zwölf Stunden müssten die Leute warten, oft über Nacht. Das Wasser friere dann auf dem Boden ein, sagt Schaad.
«Wenn die Leute mal im Registrierungsbereich sind, ist die Situation etwas besser.» Dort arbeiteten das Rote Kreuz und auch andere Hilfswerke.
In der Warteschlange sind nur private Helfer und die von Médecins sans Frontières.
«Die arbeiten rund um die Uhr», so die Zürcherin.
Keine Genehmigung für warmes Essen?
Die Bernerin Kathrin Hiss befindet sich mittlerweile an der serbisch-bulgarischen Grenze in Dimitrograd. Hier kämen nur rund 300 Leute pro Tag durch, sagt sie. Diese seien jeweils seit zwei Wochen zu Fuss unterwegs. «Das sind die Leute, die kein Geld für Schlepper haben.» Sie berichteten von Missbrauch durch die bulgarische Polizei; blaue Flecken und Blutergüsse unterstützten die Aussagen, meint Hiss. «Das serbische Rote Kreuz ist mit drei Leuten da. Sie verteilen Wasser und Essenspakete, aber erst nach der Registrierung.» Für warmes Essen gäbe es keine Genehmigung, hätten die Mitarbeiter ihr erklärt, erzählt Hiss.
IKRK-Sprecher Carpentier weist die Frage von sich: «Ich sehe nicht, wer ihnen verbieten könnte, ihre Arbeit auszuführen.» Er habe bisher auch keine solchen Meldungen von den IKRK-Mitarbeitern vor Ort erhalten. «Wir arbeiten eng mit den Behörden zusammen.»
«Es behindert uns niemand»
Eine Erklärung für die Essensfrage liefert Leo Meier vom Schweizer Hilfswerk der evangelischen Kirchen Heks: «Sobald es um warmes Essen geht, müssen wir uns an die Regulative der örtlichen Lebensmittelbehörden halten.» Bisher habe man kaltes Essen verteilt, nun suche man eine Lösung mit Generatoren – für warmes Essen im Winter. Das Heks arbeitet mit einer Partnerorganisation zusammen. Auch ein Arzt und eine Pflegerin seien im Einsatz, erklärt der soeben aus Serbien zurückgekehrte Projektverantwortliche.
Die Koordination der Hilfswerke werde vom lokalen Roten Kreuz und der UNHCR übernommen. In diesen Teams seien auch Behörden vertreten: «Es ist ein relativ unbürokratischer Prozess, es behindert uns niemand.» Aber:
Man muss sich in gewisse Strukturen einordnen
Warum so chaotisch?
Für UNHCR-Sprecher Edwards ist es unabdingbar, dass die europäischen Länder zusammenarbeiten. Die erste Verantwortung liege bei den Staaten. Es sei schwierig zu agieren, wenn «der Grad der Zusammenarbeit» je nach Land unterschiedlich sei. Das UNHCR wird jeweils von den Ländern um Hilfe gebeten. Warum ist das Ganze so chaotisch? «Es ist eine Mischung aus dem politischen Willen der Länder, ihren Kapazitäten, sowie dem Grad der Zusammenarbeit.»
Und dann wird die Stimme des professionellen Pressemenschen kurz etwas ungehalten. Man habe die Länder seit Monaten darauf gedrängt, eine gemeinsame politische Lösung zu finden, sagt er. «Dieses Management sollte doch in Europa möglich sein – könnte man meinen.»