Das Schweigen scheint bei Rami Abdulrahman Programm zu sein – mehrere Anfragen seitens SRF, aber auch anderer Medien, liess der Chef der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) unbeantwortet. Auf der offiziellen Internetseite lässt der in England ansässige Abdulrahman verlauten, die SOHR sei «mit keiner politischen Institution verknüpft».
Weiter heisst es, die SOHR bestehe aus einer Gruppe Menschen, die sich von innerhalb und ausserhalb Syriens für Menschenrechte einsetze. Hierzu werde die menschenrechtliche Situation dokumentiert, über alle Verletzungen von Menschenrechten berichtet und die entsprechenden Informationen breit verteilt.
Hohe Trefferquote, aber politischer Druck?
Seit Ausbruch des Konfliktes haben die Krisenherde in Syrien zugenommen, die Konfliktparteien können längst nicht mehr nur in das Regime Assads und die Opposition unterteilt werden. Für Nachrichtenagenturen gilt: Wenn überhaupt noch eigene Korrespondenten im Land sind, sind diese zu ihrem eigenen Schutz oft fern von den Krisenregionen.
Die SOHR berichtet aber weiter, versucht wenn immer möglich die Anzahl Toten bei Angriffen und Anschlägen zu beziffern. Entsprechend oft wird sie in internationalen Agenturmeldungen zitiert. Doch was taugen diese Meldungen tatsächlich?
Kriegsreporter Kurt Pelda stellte vor Ort in Syrien nicht nur eine «hohe Trefferquote» fest, was die Korrektheit der Informationen anbetrifft, sondern auch Ausgewogenheit: «Menschenrechtsverletzungen werden von der SOHR den hierfür verantwortlichen Lagern unparteiisch zugeordnet – ob sie auf das Regime Assads, radikale Gruppierungen wie den Islamischen Staat (IS) oder gar die regimefeindliche Opposition zurückgeführt werden müssen.»
Auch die Journalistin und Autorin Kristin Helberg hat im Falle von Vergleichen festgestellt, dass sich die Informationen der SOHR jeweils mit den selber recherchierten Angaben decken.
Amnesty International spricht auf Anfrage davon, dass die SOHR der NGO viele nützliche Informationen zur Verfügung stelle. Amnesty International fügt jedoch an: «Aufgrund des Ausmasses der Krise und des fehlenden Zugangs zu gewissen Gebieten in Syrien sind wir nicht in der Lage, alle Informationen der SOHR zu überprüfen.»
Es gibt denn auch kritische Stimmen wie jene des ehemaligen Reuters-Korrespondenten Khaled Yacoub Oweis. Die Quellen der SOHR seien nicht das Problem: obschon Abdulrahman sich von England aus hauptsächlich über die sozialen Netzwerke informiere, stehe er tatsächlich auch in Kontakt mit Leuten in Syrien.
Doch sieht der ehemals in Damaskus stationierte Oweis ein Problem des politischen Druckes: «Entweder du bist eine Menschenrechtsorganisation oder ein politischer Spieler.» Der ehemalige Syrien-Korrespondent hat den Eindruck, dass die SOHR die Grausamkeit des Regimes von Assad, im Unterschied zu den Gräueltaten der Terrormiliz IS, nicht in ihrem vollen Ausmass abbilde.
Kampf um die Deutungshoheit
Für Kurt Pelda ist aber klar: «Die SOHR ist und bleibt auf der Seite der Oppositionellen.» Doch wolle Assad wie alle anderen Konfliktparteien die Deutungshoheit. So bleibe es seitens des angeschlagenen Regimes nicht nur beim Vertuschen von Menschenrechtsverletzungen: «Regimekritischen Journalisten droht ohne Gewährleistung ihrer Anonymität Folter und Tod», so Pelda.
Das Schweigen des SOHR-Chefs hat folglich gewiss auch damit zu tun, dass er sein Netzwerk nicht gefährden will. Zudem: Wären die Informationen der SOHR wiederholt falsch, hätte die Organisation ihre prominente Stellung als viel zitierte Quelle über all die Jahre des Syrien-Konfliktes kaum halten können.
Eine Monopolstellung der SOHR rechtfertigt sich für Kristin Helberg allerdings nicht: «Selbst für nicht Arabisch sprechende Journalisten gibt es genügend andere, ebenso seriöse Quellen wie beispielsweise das Syrian Network For Human Rights oder Syria Direct», betont die Journalistin. Dass sich die Nachrichtenagenturen nicht öfters auf andere Quellen stützten, sei wohl eine Frage der Bequemlichkeit beziehungsweise dem Alltag geschuldet, so Helberg.
Sendebezug SRF 4 News, 02:00 Uhr