Wolfgang Bauer, Sie sind unterwegs im Südosten der Ukraine und waren auch in Donezk – der Stadt, welche die ukrainische Armee zurückerobern will. Wie haben Sie Donezk erlebt?
Wolfgang Bauer: Es war schockierend, alptraumhaft. Wir haben gesehen, wie die ukrainische Armee unterschiedslos mit schwerer Artillerie mitten ins Stadtzentrum hineinfeuerte. Dabei muss man sich vorstellen: Donezk ist die fünftgrösste Stadt der Ukraine, so gross wie Hamburg. Gegenüber von unserem Hotel steht das grösste Krankenhaus der Stadt und wir waren an dem Morgen dabei – notgedrungen, weil wir fast aus den Betten fielen von der Explosionswelle – als ukrainische Soldaten sieben Raketen auf das Krankenhaus feuerten. Ich nehme an, sie hatten einen Militärposten daneben treffen wollen.
Doch so geht das jeden Tag: Mal sterben Leute an einer Bushaltestelle; mal wird ein Auto getroffen, in dem Zivilisten und Kinder sitzen; mal kommt die Strassenbahn unter Beschuss. Das Stadtmuseum ist in diesem Krieg bereits zum dritten Mal von Raketen getroffen worden.
Sie sagen, die Zivilbevölkerung leide extrem unter diesem Krieg.
Ja. Was die ukrainische Armee tut – ungeachtet der Opfer mit schwerer Artillerie in eine Millionenmetropole hineinzuschiessen – ist nichts anderes als ein Kriegsverbrechen. Eines, das auch entsprechend geahndet werden sollte. Der Westen muss massiv auf die ukrainische Regierung und das Militär Einfluss nehmen. Wenn sie die Regierung schon mit erheblich viel Geld unterstützen, müssen sie dafür sorgen, dass diese Art von Kriegsführung aufhört.
Sie waren vor Ort, noch bevor die Ukraine von einer russischen Invasion gesprochen hatte. Für wie plausibel halten Sie die Anschuldigungen der USA, dass Russland die Gegenoffensive in der Ukraine lenkt?
Die sind sehr realistisch. Wir waren letzte Woche an diesem Grenzübergang, wo jetzt angeblich diese grosse Operation stattfindet. Wir waren dabei, als die ersten Angriffe geschahen und hatten deutlich das Gefühl, dass das nur von Russland aus orchestrierst werden kann.
Wie sind Sie zu diesem Schluss gekommen?
Zusammen mit tausend Zivilisten, die versuchten, mit ihren Autos nach Russland zu fliehen, wurden wir beschossen. Dieser Beschuss konnte eigentlich nur aus Russland kommen. Und wenn Russland nicht selber Material und Soldaten herüberschickt, dann duldet es zumindest diese Operation.
Haben Sie Soldaten gesehen oder Waffen, die als russisches Material klar erkennbar waren?
Nein, denn russisches Material wird auch von der Ukraine verwendet. Aber in Donezk haben wir viele Männer mit Waffen gesehen, die so Russisch sprechen, wie man das nur in Russland tut. Das sind offiziell Freiwillige aus ganz Russland, die sich für diesen «Befreiungskampf» gemeldet haben.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.