Vor einer geplanten Waffenruhe in der Ostukraine sind bei heftigen Gefechten in der Kriegsregion erneut zahlreiche Kämpfer und Zivilisten getötet worden. Mindestens acht Armeeangehörige seien innerhalb von 24 Stunden bei Schusswechseln mit prorussischen Separatisten ums Leben gekommen, sagte Militärsprecher Wladislaw Selesnjow am Freitag in Kiew. Mehr als 30 Soldaten wurden verletzt.
Die Aufständischen sprachen von mindestens zehn Zivilisten, die durch Geschosse der Armee ums Leben gekommen seien. Separatistensprecher Eduard Bassurin zufolge wurden in den Grossstädten Donezk und Lugansk je drei Einwohner getötet. Mehr als zwölf Menschen seien verletzt worden. Zudem wurden in Gorlowka vier Menschen getötet, wie Bassurin sagte. Die Armee betonte, keine Wohnviertel beschossen zu haben.
Umkämpfter Knotenpunkt Debalzewe
Hart umkämpft blieb laut dem ukrainischen Militär die Stadt Debalzewe, die sich unter Kontrolle der Armee befindet. Seit Wochen versuchen die Separatisten, den strategisch wichtigen Verkehrsknoten zwischen den Rebellenhochburgen Donezk und Lugansk einzunehmen. Die Stadt ist mittlerweile fast vollständig eingekesselt.
Anfang des Monats wurde ein Korridor für die Menschen eingerichtet, damit sie sich in Sicherheit bringen können. Nur wenige haben diese Gelegenheit wahrgenommen. Für Ukraine-Kenner und Journalisten Christian Wehrschütz ist klar weshalb. «Die Menschen in dieser Gegend sind für unsere Verhältnisse eher arm.» Entsprechend hätten sie Angst, das wenige, dass sie sich erarbeitet hätten, zu verlassen. Viele wüssten auch nicht wohin, fügt Wehrschutz an. «Zusätzlich haben die Kämpfe auch Familien zerrissen. Mütter mit Kindern seien geflohen, die Väter aber geblieben, um auf das Eigentum aufzupassen.»
Unklar ist, was mit Debalzewe nach Inkrafttreten des Waffenstillstandes passiert. Im Abkommen, das die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande am Donnerstag mit Kremlchef Wladimir Putin und dem ukrainischen Staatsoberhaupt Petro Poroschenko unterzeichneten, wird die Stadt nicht erwähnt. Gemäss der vereinbarten Demarkationslinie soll die Stadt in ukrainischer Hand bleiben – aber im von Separatisten kontrollierten Gebiet.
Beobachter zweifeln am Minsker abkommen
Angesichts der heftigen Gefechte zweifeln Beobachter am Erfolg des geplanten Waffenstillstands. Es bestehe die Gefahr, dass Regierungstruppen und prorussische Separatisten bis zum Beginn der Feuerpause dem Gegner noch Verluste zufügen wollen, sagte Gernot Erler, Russlandbeauftragter der Bundesregierung, im Bayerischen Rundfunk. Die Verbitterung darüber könne so gross werden, dass die Bereitschaft zum Waffenstillstand dann zu gering sei.
Auch der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrej Melnik, gibt dem Minsker Abkommen über eine Waffenruhe im Osten des Landes nur wenig Chancen. «Zu oft mussten wir erleben, dass alle Abkommen, die von Russland bis jetzt unterschrieben wurden, im Endeffekt nur ein Fetzen Papier geblieben sind.» Die Ukraine habe viel mehr von dem Gipfel erwartet. «Aber letztendlich ist ein schlechter Frieden viel besser als ein guter Krieg.»