«2014 war ein katastrophales Jahr für Millionen von Menschen»: Zu diesem Schluss kommt Amnesty International in seinem Jahresbericht zur Lage der Menschenrechte. Die Zivilbevölkerung in Krisengebieten sei von Entführungen, Folter, sexualisierter Gewalt, Anschlägen und Bomben bedroht worden.
Von Islamistengruppen terrorisiert
«Besonders besorgniserregend» sei die zunehmende Macht von nicht-staatlichen Gruppen wie der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien und im Irak, der Boko Haram in Nigeria und der Al-Shabaab in Somalia. Die Dschihadistengruppen gingen immer brutaler gegen die Zivilbevölkerung vor und immer mehr Menschen litten unter ihrer Gewalt, sagte die Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion bei der Vorstellung des Reports. Der Einfluss dieser Milizen reiche längst weit über Landesgrenzen hinaus.
Von Staatsmächten unterdrückt
Die Bevölkerung in den Krisengebieten wurde jedoch nicht nur von Terroristen gequält und gefoltert, sondern auch von den Staatsmächten selbst, wie der Bericht weiter festhält. Regierungschefs hätten versucht, Menschenrechtsverletzungen mit der Ausrede zu rechtfertigen, für Sicherheit sorgen zu müssen. In Syrien etwa hätten die Schreckenstaten des IS für eine Weile von der Gewalt der syrischen Regierungskräfte abgelenkt. Diese setzten Fassbomben ein, griffen Krankenhäuser an und blockierten die Versorgung Unbeteiligter mit Nahrung, Wasser und Medikamenten. Im Irak habe die Regierung angesichts des Terrors schiitische Milizen auf sunnitische Gemeinden «losgelassen», die angeblich mit dem IS sympathisierten. Alleine von Januar bis Oktober habe der Konflikt im Irak 10‘000 Zivilisten das Leben gekostet.
Amnesty International
Vor der Gewalt auf der Flucht
Die Gewaltexzesse im vergangenen Jahr haben laut Amnesty schätzungsweise 57 Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Es sei die grösste Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg und die Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft sei beschämend, sagte die deutsche Amnesty-Generalsekretärin weiter.
95 Prozent der Flüchtlinge werden in Nachbarländern aufgenommen. Allein Libanon hat bislang eine Million syrische Flüchtlinge aufgenommen. Das sei für einen Staat mit einer Gesamtbevölkerung von 4,3 Millionen eine kaum zu schulternde Belastung.
Vom Westen im Stich gelassen
Der Amnesty-Bericht wirft den westlichen Regierungen ganz allgemein vor, nicht genug zu tun, um das Leiden der Zivilbevölkerung zu verhindern oder zumindest zu lindern. Zudem nutzten die dortigen Regierungen und Geheimdienste den «Krieg gegen den Terror» als Vorwand, um die eigene Bevölkerung zu bespitzeln. Ihre Antwort auf Konflikte und Misshandlungen durch Staaten und bewaffnete Gruppen sei beschämend und wirkungslos gewesen, so der Bericht weiter.
«Jetzt ist ein Signal nötig»
Der Weltsicherheitsrat habe als Instrument versagt, die Europäische Union stecke ihren Kopf in den Sand, etwa beim Umgang mit der Flüchtlingssituation im Mittelmeer. «Statt den Schutz der Zivilbevölkerung ins Zentrum internationaler Politik zu stellen, blockieren nationale, geopolitische und wirtschaftliche Interessen ein gemeinsames Handeln und heizen Konflikte noch weiter an», kritisierte Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty. Von den ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrats fordert Amnesty, im Fall von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen verbindlich auf ihr Veto zu verzichten. «Es wäre ein kraftvolles Signal, dass die Welt nicht tatenlos danebensitzt, während massenhaft Gräuel stattfinden.»