Die Stimmung in Tunesien ist angespannt. Alle Tunesier beobachten, was im Land vor sich geht. Tunesien ist immer noch geschockt von dem Mord an den Oppositionspolitiker Belaïd von vergangenem Mittwoch. «Viele fürchten, dass das nicht der letzte Gewaltakt in Tunesien gewesen sein könnte, dass es Kräfte gibt, die Tunesien destabilisieren wollen», sagt Marc Dugge gegenüber Radio SRF. Er ist Korrespondent der ARD in Nord- und Westafrika.
Ministerpräsident Hamadi Jebali gehört zum moderaten Flügel der regierenden Ennahda-Partei. Er hatte für eine Überraschung gesorgt: Nach landesweiten Protesten wegen der Ermordung Belaïds kündigte er an, die Regierung umbilden zu wollen. Der neuen Regierung sollen nur Experten angehören.
Jebali droht mit Rücktritt
Jebali weiss, dass er Schwierigkeiten haben wird, diese Experten zu finden. Die Ennahda-Partei hat sich gegen eine Regierungsumbildung ausgesprochen. Jebali ist nun in seiner eigenen Partei isoliert. Sie beharrt darauf, dass sie die legitime Wahlsiegerin ist und deswegen die Regierungsposten besetzen kann. Da zeichnen sich viele Spannungen ab. Keiner weiss, ob Jebali es wirklich schaffen kann sich durchzusetzen. Falls er es nicht schafft, hat er angekündigt, werde er zurücktreten.
Gemäss dem Ennahda-Chef, Rachid Ghannouchi, würde es innerhalb der Partei keine Abspaltungspläne geben.
Minister der Präsidentenpartei bleiben vorerst im Amt
Die Minister der tunesischen Präsidentenpartei wollen vorerst doch im Amt bleiben. «Wir haben beschlossen, unsere Entscheidung über den Rückzug unserer Minister aus der Regierung einzufrieren», erklärte am Montag der Chef der säkularen Partei Kongress für die Republik (CPR) von Staatspräsident Moncef Marzouki, Mohammed Abbou.
Die CPR lehnte den Plan Jebalis zur Zusammenstellung einer Expertenregierung ab. Zur Begründung erklärte Abbou, durch eine solche Regierung könnten «Figuren des alten Regimes» aus der Zeit des 2011 gestürzten Präsidenten Zine al-Abidine Ben Ali wieder in die Regierung einziehen.
Menschen gehen auf die Strasse
Tunesien hat mit vielen strukturellen Problemen zu kämpfen. Insbesondere die hohe Arbeitslosigkeit in diesem Jahr, die viel Menschen auf die Strasse treibt. Sie fordern mehr Arbeitsplätze und einen wirtschaftlichen Aufschwung. «Das lässt sich schwer über Nacht herstellen», sagt Korrespondent Dugge.
Zudem hat die islamistische Ennahda-Partei schon viele Schaltstellen der Macht besetzt. Dazu gehören hohe Verwaltungsposten. Auch dagegen gehen die Menschen auf die Strasse.
Neue Wahlen angekündigt
Regierungschef Jebali hat für dieses Jahr Wahlen angekündigt. Ob der Termin zu halten sei, bleibe laut Dugge jedoch fragwürdig. Einen Verfassungsentwurf gibt es bisher nicht. Die Arbeit der verfassungsgebenden Versammlung zieht sich hin. Dugge sagt: Es gibt immer wieder Diskussionen über bestimmte Fragen. Fragen wie: «Soll sich Tunesien der islamischen Rechtsprechung, der Scharia, orientieren oder nicht?» Die Beantwortung der Fragen ziehe sich seit Oktober 2011 hin. Wegen der aktuellen Wirren ist nicht zu erwarten, dass es in Tunesien schnell zu einer Besserung kommt.