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International «Ein Schuldenerlass kommt oft zu spät und zu zaghaft»

Ein umfassender Schuldenschnitt für Griechenland ist unvermeidlich, allen Widerständen der europäischen Gläubiger zum Trotz. Dies betont Carmen Reinhart, Ökonomin an der Harvard Universität. Sie bestätigt damit die neueste, noch nicht abgesegnete Lageanalyse des Internationalen Währungsfonds.

Die neuste, noch provisorische Standortbestimmung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu Griechenland birgt wenig Überraschungen, aber hohe Zahlen: Griechenland braucht noch mehr Geld – mindestens 50 Milliarden Dollar bis 2018 – und darüber hinaus einen markanten Schuldenschnitt.

Aus früheren Erfahrungen lernen – das heisst für Wirtschaftsprofessorin Carmen Reinhart aus vergangenen Krisen lernen. Bereits vor ein paar Jahren zeigte die Ökonomin an der Harvard Universität auf, dass durch Banken ausgelöste Finanzkrisen länger dauern als andere. Sie analysierte dafür Krisen aus 700 Jahren.

In ihrer neusten Studie geht es um Staaten, die ihre Schulden nicht mehr bezahlen können. So wie Griechenland, für das sie seit Jahren einen deutlichen Schuldenerlass empfiehlt.

Ihr Zahlenmaterial legt nun nahe, dass ein solcher Schuldenschnitt sogar unumgänglich ist. Zusammen mit Professor Christoph Trebesch untersuchte sie 46 Staatsschulden-Krisen zwischen 1930 und 2010. Darunter sind Krisen in Industriestaaten wie auch in Entwicklungsländern mit öffentlichen und privaten Gläubigern.

Schnelle Lösungen sind die Ausnahme

Dabei zeigte sich gemäss Reinhart immer das gleiche Szenario und Drama: Nur in Ausnahmefällen einigte sich ein Staat mit seinen Gläubigern auf eine schnelle Lösung. Der Umschuldungsprozess dauerte manchmal bis zu zehn Jahre.

Dabei sei insgeheim allen Beteiligten klar, dass ohne Umschuldung niemand gewinnen werde, stellt Reinhart fest. Gleichzeitig wüssten die Gläubiger aber, dass ihr Geld auf dem Spiel steht und sie am meisten zu verlieren haben. Deshalb komme eine Umschuldung oft zu spät und zu zaghaft.

Neue Lageanalyse des IWF

Es reiche nicht, einem Staat die Rückzahlung der Kredite erst viel später zu erlauben. Ebenso wenig, die Kreditzinsen zu senken, um die Last des überschuldeten Landes zu mindern. «Es müssen auch die eigentlichen Schulden abgeschrieben werden», stellt Reinhart fest.

Griechenland hat bereits einen solchen «Haircut» hinter sich. 2011 mussten sich private Gläubiger die Hälfte ihrer Ansprüche ans Bein streichen. Einen zweiten, deutlichen Schuldenschnitt schlägt nun der Internationale Währungsfond in seiner noch nicht abgesegneten Lageanalyse vor.

Je tiefer die Budgetziele für Griechenland sinken, umso eher fordert der IWF einen Schuldenschnitt – in Ergänzung zu neuen Krediten und umfassenden Reformmassnahmen. Vor allem Deutschland wehrt sich aber gegen einen teilweisen Schuldenerlass. Kein Wunder, denn dieses Mal wären es nicht private Investoren, sondern die Steuerzahler, die dafür aufkommen müssten. Wiederum eine Analogie zu früheren Krisen.

Umschuldung war immer «Wendepunkt»

Sie könne sich nicht vorstellen, wie Griechenland sonst den enormen Schuldenberg von heute 180 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung abbauen könne. Wendepunkt aller untersuchten Krisen sei gewesen, wenn Gläubiger auf die Rückzahlung eines genügend grossen Teils der Schulden verzichtet hätten. Allein der erneute Zugang zu den internationalen Kreditmärkten gebe dem betroffenen Staat etwas Luft. Laut der Langzeitstudie liessen sich Reformen einfacher umsetzen, und die Wirtschaft erhielte wieder Schwung.

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