Die tschechische Stichwahl um das Präsidentenamt bietet Nervenkitzel bis zum Schluss, das heisst bis zum Samstagabend. In der ersten Runde vom 11. und 12. Januar wurden der Fürst Karel Schwarzenberg und der Linkspopulist Miloš Zeman in die Stichwahl gewählt. Es ist ein «Plebiszit über politische Weltbilder», schreibt die «Neue Zürcher Zeitung».
Seine Durchlaucht Karl Johannes Nepomuk Josef Norbert Friedrich Antonius Wratislaw Mena Fürst zu Schwarzenberg, Graf zu Sulz, gefürsteter Landgraf im Klettgau und Herzog von Krumau sammelte seine Stimmen vor allem in den intellektuellen urbanen Wählerschichten. Er befriedigt bei vielen – erstaunlicherweise auch bei vielen Jungen die Sehnsucht nach Verlässlichkeit und Eigenständigkeit. Und da verzeihen ihm manche sein Nuscheln und das Dösen im Parlament.
Adliger mit Zürcher Bürgerrecht
Schwarzenberg steht für ein humanistisches Ideal, das auf der Prager Burg mittlerweile verschwunden ist. Kolumnisten vergleichen den Pfeife rauchenden Fürsten mit Helmut Schmidt. Auch ihm wird vieles erlaubt, das man anderen nicht verzeihen würde.
Schwarzenberg ist 1937 in Prag geboren. Der Kopf einer böhmisch-fränkischen Adelsfamilie besitzt das Zürcher Bürgerrecht, da er von seinem Vorfahren Fürst Ferdinand von Schwarzenberg die Landgrafschaft Klettgau geerbt hat. Mit elf Jahren musste er die Tschechoslowakei mit seinen Eltern verlassen. Er ging in Wien weiter zur Schule. In den 1960er-Jahren unterstützte er die osteuropäische Dissidenten-Szene.
Ein linker Vollblut-Politiker
Miloš Zeman ist das Gegenteil zum edlen Adeligen. Er liebt den bekannten Kräuterschnaps «Becherovka», tritt hemdsärmelig auf, kurz: Er gibt sich volkstümlich. In der ersten Runde konnte er vor allem auf dem Land und im Arbeitermilieu Stimmen holen. Dies bilanziert das grösste Online-Portal «iDnes.cz». Zeman hat immer ein Bonmot bereit, auch wenn dies nicht immer der Wahrheit entspricht. Im Internet kursieren Videos, in denen bekannte Persönlichkeiten im Detail Zemans Lügen auflisten.
Manche Lügen mögen sie ihm verzeihen, aber eines verzeihen ihm die Tschechen nicht: Zusammen mit Präsident Václav Klaus schuf Zeman ein Machtkonstrukt auf der Prager Burg, das seinesgleichen sucht. Die beiden waren Schöpfer eines Vertrags mit harmlos tönendem Titel: Oppositionsvertrag. Dieser Vertrag erlaubte ab 1998 den Sozialdemokraten (ČSSD) die Führung einer Minderheitenregierung unter der Duldung der Bürgerlichen (ODS) von Václav Klaus. So wurden die kleineren Parteien ausmanövriert. Dies führte zu einer unvergleichlichen Korruptionswelle in Tschechien. So urteilen viele Historiker zumindest aus heutiger Zeit.
Miloš Zeman gehört zu den schillernden Figuren der Prager Politszene. Der Kettenraucher mit einem Hang zum Alkohol studierte zu kommunistischen Zeiten Ökonomie. Er sieht Tschechien als Sozialstaat nach «skandinavischem Vorbild». Er kündigte an, auf die Regierungspolitik «durch regelmässige Auftritte in Kabinett und Parlament» einwirken zu wollen.
Vielen graut bei der Vorstellung, Zeman auf der Prager Burg herrschen zu sehen. «Man sagt, dass jedes Land die Regierung hat, welche es verdient. (…) Somit können wir nur hoffen, dass dieses Land Miloš Zeman auf der Prager Burg nicht verdient. Nicht nach Václav Klaus.» Das meint lakonisch der Kommentator Jan Dražan des bürgerlichen Blattes «Lidové Noviny».
Beneš in Den Haag?
Im Wahlkampf vor der zweiten Runde hörte man einmal mehr Ressentiments gegen die Vertriebenen. Der linke Ex-Premier Zeman schlägt scharfe Töne an, um dem beliebten Fürsten Paroli zu bieten. Fast 70 Jahre nach Kriegsende wird die Vertreibung von drei Millionen Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg erneut debattiert.
Tschechiens Chef-Diplomat Schwarzenberg kritisierte die Vertreibung. «Ich werfe unseren Vorfahren vor, dass sie das Prinzip der Kollektivschuld angewendet haben», sagte der 75jährige Aussenminister. Unter heutigen Umständen würde sich der damalige Präsident Edvard Beneš in Den Haag – Schwarzenberg meint damit den Internationalen Gerichtshof für Kriegsverbrechen – wiederfinden.
Sein Widersacher Zeman polterte in einem Fernsehduell, die Vertreibungsdekrete und die darauf fussenden Gesetze seien «untrennbar Teil der tschechischen Rechtsordnung». Der 68jährige warf Schwarzenberg im Sender Prima vor: «Wer einen tschechoslowakischen Präsidenten als Kriegsverbrecher bezeichnet, spricht wie ein sudetendeutscher Funktionär.» Schwarzenberg konterte und sprach von einer «Manipulation» seiner Aussagen.
Eigentor für Zeman?
Zeman versucht, Schwarzenberg in die Ecke des ungeliebten Exilanten zu stellen. Doch das könnte sich für sein Lager rächen. «Seinen Stammwählern gefällt das sehr, aber auch nur seinen Wählern», meint Alexandr Mitrofanov, Kommentator der linken Zeitung «Pravo» – ein Mann aus den eigenen Reihen. Zeman zeige nun sein Gesicht, das er im Wahlkampf lange zu verstecken suchte. Bei der Debatte um die Beneš-Dekrete habe sich Zeman verhalten, wie es seine Art sei – «arrogant, ungehobelt, grob und angriffslustig im Stammtisch-Stil.»
Trotz aller Fettnäpfchen und Anfeindungen: Eine Umfrage vor der Stichwahl um das Präsidentenamt zeigt einen Vorsprung für Zeman. Doch knapp die Hälfte der Wähler – auch das zeigt die Umfrage – hat sich noch nicht auf einen Kandidaten festgelegt.