Iren Meier, Türkei-Kennerin von Radio SRF, zeigt sich nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei überrascht: «Wie viele andere habe ich nicht damit gerechnet, dass die türkischen Generäle mit Panzern und Helikoptern in die Strassen Istanbuls und Ankaras zurückkehren, um einen gewählten Präsidenten, die gewählte politische Macht, wegzuputschen.»
Ich bin davon ausgegangen, dass diese dunkle Zeit vorbei ist.
Dass die Militärs mit der Politik Erdogans nicht einverstanden seien, sei klar gewesen, so Meier. Nach Aussen hätten sich dies aber nicht so deutlich gezeigt. «Von Missfallen bis zum Putsch ist es noch ein grosses Stück», konstatiert Meier.
Wer hinter dem Putschversuch steht, ist weiter unklar. Meier ist überzeugt, dass es mit Sicherheit nicht nur ein paar Einzelne gewesen seien. «Wenn wir betrachten, wie dieser Putschversuch abgelaufen ist – welche Dimension dieser Putsch hatte – dann war das eine professionelle Vorbereitung.»
Die häufigen Terroranschläge in der Türkei und der lasche Umgang mit Islamisten sowie die Syrienpolitik könnten der Grund für den Putschversuch gewesen sein.
Die Armee sieht sich als Hüterin der kemalistischen säkularen Politik.
Zudem sein das Verhältnis zwischen Erdogan und dem Militär sehr belastet, so Meier weiter. «Erdogan glaubte, er habe den Machtkampf endgültig gewonnen.» Für die gescheiterten Putschisten bedeute dies nun wohl hohe Gefängnisstrafen oder die Todesstrafe. Jener hohe Preis, den sie laut der Regierung zahlen müssten.
Der Putschversuch kommt Erdogan zupass
«Der gescheiterte Putschversuch spielt Erdogan in die Hände», betont die Türkei-Kennerin. Der Präsident wirke zufrieden. Nun werde er seinen autoritären Kurs weiter verschärfen, so Meier sicher. Der türkische Präsident werde seinem grossen Ziel wahrscheinlich näher kommen: Ein türkischer Präsident mit absoluter Macht zu werden.
Auf aussenpolitischer Ebene sei Erdogan jedoch nicht rehabilitiert, meint Meier. «Er ist ein sehr flexibler Pragmatiker und kann aussenpolitisch tollkühne Wendungen vollführen – das haben in den letzten Wochen gesehen – doch sie sind dem Moment geschuldet.»
Für die türkische Gesellschaft ist es ein Albtraum.
Die türkische Gesellschaft bestehe nach 13 Jahren unter Erdogan aus zwei Hälften: Hälften, die einander nicht mehr erreichten, die sich nicht mehr verständigen könnten, sagt Meier. Es bestehe ein wirklich sehr, sehr tiefer Graben und das sei gefährlich. «Aber in der Ablehnung des Putschversuchs sind sich die beiden Hälften einig – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen», so die Türkei-Kennerin.