Letztes Jahr erst läutete die türkische Regierung mit der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) einen Friedensprozess ein. Die beiden Parteien vereinbarten eine Waffenruhe. Mit den jüngsten Reaktionen der Türkei auf den Terror im eigenen Land hat der Wind gedreht: Nachdem die Türkei Luftangriffe gegen PKK-Lager im Nordirak flog, erklärte die PKK den Waffenstillstand für beendet.
SRF News: Drohen nun wieder Anschläge der kurdischen PKK? So wie vor Beginn des Friedensprozesses?
Inga Rogg: Das ist leider zu befürchten. Die PKK hat in der Nacht im Osten der Türkei 15 Arbeiter entführt. Diese sind wieder freigelassen worden. Nun hat aber die türkische Polizei am Freitagmorgen erneut eine Grossrazzia durchgeführt. Hunderte von angeblichen Sympathisanten und PKK-Mitgliedern sind verhaftet worden. Das trägt nicht zur Beruhigung der Lage bei.
Das Verhältnis zwischen der türkischen Regierung und den Kurden hat sich ja jüngst mit diesem Waffenstillstand und Friedensprozess verbessert. Steht diese positive Entwicklung nun grundsätzlich auf der Kippe?
Die PKK hat den Waffenstillstand in der vergangenen Nacht aufgekündigt. Dieser war ohnehin schon sehr löchrig und von der türkischen Seite gibt es im Moment auch keine Anzeichen, dass sie den Friedensprozess wieder aufnehmen möchte.
Erdogan wird dafür gepriesen, dass er auf die Kurden zugegangen ist und es gewagt hat, mit dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan Gespräche anzuschieben. Er hat zudem Rechte für die Kurden auf den Weg gebracht. All dies wurde über die letzten Jahre erreicht – jetzt steht es auf der Kippe.
Wie sollen jetzt wieder Gespräche geführt werden? Die Kurden sind ohnehin schon seit Monaten darüber erzürnt, dass dieser Prozess ins Stocken geraten ist, dass die türkische Regierung Gesetze durchgepaukt hat, die Verhaftungen erleichtern, die Demonstrationen einfacher verbieten lassen. Jetzt kommt die Bombardierung des PKK-Lagers dazu. Im Moment sehe ich keine Möglichkeit, den Friedensprozess wieder in den Gang zu bringen. Da müsste die türkische Regierung einen radikalen Kurswechsel vollziehen..
Die Türkei ist mit der aktuellen Entwicklung mitten in einen enorm grossen Konflikt reingerutscht. Wie konnte es denn soweit kommen? Hat Erdogan die Lage vielleicht unterschätzt?
Erdogan hat jedenfalls eine falsche Politik gemacht. Seine Nahostpolitik, insbesondere gegenüber Syrien und auch gegenüber dem Irak – man kann es nicht anders sagen – ist gescheitert. Er hat sich in der Beurteilung verschätzt, wie stark die Kurden in dem Konflikt im Nachbarland Syrien werden. Er hat darauf gesetzt, dass sich die Autonomiebestrebung der Kurden in Syrien durch einen Sturz von Assad und die Unterstützung von anderen Rebellen im Zaum halten lassen. Das ist nicht gelungen. Es ist fatal für die Türkei, dass sich Erdogan so verkalkuliert und die Dynamik dieses Konflikts falsch eingeschätzt hat.
Das Gespräch führte Karin Britsch.