SRF News: Nicht nur in der irakischen Stadt Ramadi, auch in Nordsyrien ist der IS unter Druck: Kurdische und arabische Rebellen haben dort einen strategisch wichtigen Staudamm erobert. Ist der IS in der Defensive?
Daniel Gerlach: Militärisch ist er das. Allerdings sollte man nun nicht in Jubelschreie verfallen. Denn der IS hat in den letzten Monaten gelernt, sich taktisch zurückzuziehen, wenn es notwendig ist. Und wenn er merkt, dass er nichts gewinnen kann, führt er Gefechte nicht um jeden Preis zu Ende. Deshalb sollte man in Erinnerung behalten, dass der IS immer noch nördlich von Ramadi und in der Nähe von Bagdad steht und auch noch Territorien in Syrien hat.
Insofern kann man sich nicht nur darüber freuen, sondern man muss auch sehr vorsichtig sein: Der IS ist eine schlechte Besatzungsarmee, aber eine ziemlich gefährliche Eroberungsarmee. Er hat die Möglichkeit, in dynamischen Bewegungen wieder Territorium gutzumachen. Daher sind die Erfolge gegen den IS zwar positive Signale. Viel grösser sind allerdings die politischen Herausforderungen, die auf die Mächte in der Region zukommen, um dieses Problem langfristig zu lösen. Sonst wird der IS immer wieder dort auftauchen, wo Staaten zerfallen oder versagen.
Nun, da Ramadi offenbar zurückerobert wurde, sprach Iraks Regierungschef Haidar al-Abadi von «grossen Siegen» seiner Armee. Ist es ein grosser Sieg?
Wenn man sich anschaut, wie militärisch vorgegangen wurde, so kann man sagen, das war relativ professionell. Aber die entscheidende Frage ist: Wie sieht es im Umland von Ramadi aus? Diese Stadt zurückzuerobern, war eine Ehrensache. Die irakische Armee war auf eine sehr demütigende Art und Weise vor einigen Monaten aus Ramadi vertrieben worden.
Sie musste die Stadt zurückerobern, um überhaupt glaubwürdig zu bleiben. Das gilt besonders für Premier Abadi. Er musste die Milizen wieder unter Kontrolle bringen. Dabei ist es ihm gelungen, sunnitische Stammeskämpfer in die Front einzubinden. Solche Allianzen gab es schon in der Vergangenheit, und sie waren immer erfolgreich. Sie fallen aber auch schnell wieder auseinander. Man darf nicht vergessen: Ganz nahe bei Bagdad, in Falludscha, stehen bis heute IS-Kräfte. Die hat man bisher nicht besiegen können. Insofern ist dieser Sieg in Ramadi für die Regierung ein Prestige-Erfolg. Die grossen Herausforderungen, wie etwa die Stadt Mossul, die man auch angekündigt hat, zurückzuerobern, stehen noch bevor, und das wird ungleich schwerer.
Der IS ist eine schlechte Besatzungsarmee, aber eine ziemlich gefährliche Eroberungsarmee.
Es wurden mehrere Erfolge gegen den IS innerhalb weniger Tage vermeldet. Könnte das ein Zeichen sein, dass die Strategie gegen den IS besser funktioniert? Kurden, Iraker, syrische Rebellen, unterstützt von der US-geführten Koalition?
Man hat dann eine Chance gegen den IS, wenn sich eine kritische Masse an regionalen Kräften einig ist, dass man ihn auch wirklich besiegen will. Diese Entwicklung scheinen wir jetzt etwas deutlicher zu sehen als im letzten Jahr. Wir beobachten, dass der IS schlagbar ist, wenn man mit vereinten Kräften gegen ihn vorgeht. Aber sobald man ihm Raum gibt und diese Operationen vernachlässigt, wird er auch wieder zurückkommen. Das sollte man in Erinnerung behalten, wenn man jetzt von grossen Siegen und einer grossen Schwäche des IS spricht.
Der IS scheint geschwächt. Was braucht es, um ihn zu besiegen?
Wir brauchen ein politisches Szenario dafür, was mit dem Territorium, in dem der IS zurzeit herrscht, passieren soll. Wenn wir den Menschen in diesem Gebiet keine Zukunftsperspektive geben können, dann wird der Kampf gegen diese Organisation langfristig nicht erfolgreich sein.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.