Die PR-Strategen im Hause Saud haben zurzeit viele Scherben aufzusammeln: das Todesurteil gegen einen minderjährigen schiitischen Aktivisten sorgt international für Empörung – nun übernimmt Riad den Vorsitz des Uno-Menschenrechtsrats. Ein Hohn, finden nicht nur Zartbesaitete. Bei der islamischen Pilgerfahrt nach Mekka starben nach neuesten Berichten bis zu 1000 Menschen bei einer Massenpanik. Saudi-Arabien, zu dessen Staatsräson der Schutz der heiligsten Stätte des Islam und der Gläubigen gehört, steht massiv in der Kritik.
Auch realpolitisch brauen sich dunkle Wolken über der Ölmonarchie zusammen: Mit Russlands verstärktem Engagement in Syrien gerät die sunnitische Front gegen Erzfeind Assad in Verlegenheit; der Atom-Deal mit Iran stellt die geostrategische Partnerschaft zwischen Washington und Riad auf die Probe; und beim selber angezettelten Krieg in Jemen fehlt eine Exit-Strategie.
Dicke Post aus den eigenen Reihen
Bei aller Schelte von Freund und Feind: Als Musterknabe der Weltgemeinschaft war Saudi-Arabien nie bekannt, hegte auch nie entsprechende Ambitionen. Doch jetzt kommt die Kritik nicht mehr nur von ausserhalb. In zwei Schreiben fordert ein anonymer Prinz und Grossenkel des saudischen Staatsgründers unverblümt die Absetzung von König Salman.
Die Briefe fanden den Weg an die Öffentlichkeit, zwei Millionen Saudis sollen sie bislang gelesen haben. In den sozialen Medien findet die geharnischte Kritik, trotz gut geölter Zensurmaschinerie, Widerhall. Der ur-saudische Stabilitätspakt von Petrodollars und Scharia scheint zu lahmen; auch, weil der Ölpreis um 50 Prozent gefallen ist. Der Internationale Währungsfonds geht für dieses Jahr von einem saudischen Staatsdefizit von 107 Milliarden Dollar oder rund 20 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes aus.
So verwundert das Unbehagen des Sprosses der Sauds, das er am Montag auch im britischen «Guardian» kundtat, kaum. Droht eine Palastrevolte?
Viele Herausforderungen, wenig Lösungen
Die Islamwissenschaftlerin Ulrike Freitag hält die Schreiben des aufmüpfigen Prinzes für «potentiell glaubwürdig»: «Sie wirken wie interne Briefe, ja Ratschläge an den König und die Familie, was durchaus in einer akzeptierten Tradition stehen würde.» Neu sei, dass interne Richtungskämpfe an die Öffentlichkeit gelangten. «Es kann durchaus sein, dass die jüngsten Ereignisse den Autor dazu gebracht haben, auch an die westliche Öffentlichkeit zu gehen.»
Ungeachtet der Authentizität der Königskritik: Das Haus Saud scheint in Schieflage geraten zu sein. Der «Konfliktkurs» der Ölmonarchie bei den aktuellen Grossbaustellen sei umstritten im Land, so Freitag. «Es gibt viele Herausforderungen und keine klaren Lösungsoptionen», fasst Freitag die Zwangslage der Sauds zusammen.
Ein Plädoyer für Demokratie? Mitnichten
Die Generalkritik des Prinzen könne gefährlich für die Königsfamilie werden, befindet Freitag. «Schon früher wurde gelegentlich Dissens nach aussen getragen. Im besten Fall wird die Königsfamilie aufgerüttelt und neu aufgestellt. Dann wäre der Beitrag durchaus konstruktiv.» Im eher unwahrscheinlichen Fall könnten aber auch die Bruchlinien innerhalb der Familie an die Öffentlichkeit treten, bis dahin, «dass sie sich zerlegt».
Könnte der unbekannte Kritiker am saudischen König gar zum Umstürzler werden? Die Islamwissenschaflerin winkt ab: «Es geht [dem Autor] nicht um Demokratisierung des Landes, sondern höchstens um eine Demokratisierung innerhalb der Königsfamilie. Sie soll künftig einen stärkeren Einfluss auf wesentliche politische Entscheidungen haben.» Aspiranten auf einen Arabischen Frühling im Wüstenstaat dürften die Lektüre also enttäuscht weglegen.