SRF News: Wie rechts ist der Rechtsrutsch in Deutschland?
Peter Voegeli: Er ist sehr rechts, wenn man sieht, wie viel die AfD gewonnen hat – aus dem Stand zwischen 11 und 21 Prozent. Wenn man aber die Folgen bedenkt, dann ist dieser Rutsch nicht unbedingt so rechts. Denn einerseits wird die AfD im Parlament von allen anderen Parteien gemieden werden. Andererseits ging der Erfolg der AfD auf Kosten der übrigen Parteien.
In Baden-Württemberg beispielsweise hat die CDU wegen der AfD massiv verloren. Die Folge ist: Baden-Württemberg hat einen Ministerpräsidenten der Grünen, Rheinland-Pfalz hat eine sozialdemokratische Ministerpräsidentin und Sachsen-Anhalt einen CDU-Mann an der Spitze. Die Folgen sind demnach nicht rechts – auch wenn die Zahlen allerdings sehr rechts sind.
Die Wahl gilt als Quittung für die Regierungspolitik von Angela Merkel. Ist die Regierung Merkel nun gefährdet?
Man kann sagen, dass die CDU in allen drei Bundesländern geschwächt worden ist. Das hat aber nicht so grosse Auswirkungen auf die Bundespolitik. Denn es gibt keine Alternative zu Merkel für die CDU. Sie ist der Garant für die Macht. Vielleicht wichtiger als die Wahlen ist auch die Tatsache, dass am letzten Mittwoch nach der Schliessung der Balkanroute, noch 89 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Vielleicht stärkt das Merkel mehr, als dass die Resultate von heute sie schwächen.
Auch die SPD ist bei den Wahlen abgestraft worden. Die Sozialdemokraten haben offenbar auch ein grosses Flüchtlingsproblem?
Sie haben ein Problem, weil sie quasi zerrissen werden. Einerseits regieren sie in Berlin mit und verantworten diese Flüchtlingspolitk mit. Andererseits sind sie die Partei des berühmten «kleinen Mannes» – und der hat Angst. Zehn Prozent der SPD-Wähler in Sachsen-Anhalt sind beispielsweise zur AfD gewechselt. Die SPD macht deshalb einen Spagat: Sie versucht ihre eigenen Leute anzusprechen und sagt «wir müssen auch für die sorgen und nicht nur für die Flüchtlinge». Andererseits ist sie mitverantwortlich für die Flüchtlingspolitik und das zerreisst die Partei.
Die Grünen und ihr Spitzenkandidat in Baden-Württemberg kommen relativ unbescholten durch diese Polit-Unruhen. Was machen sie besser als andere?
Winfried Kretschmann und Baden-Württemberg sind ein Sonderfall. Besonders gut haben die Grünen in den anderen Bundesländern nicht abgeschnitten, aber sensationell in Baden-Württemberg. Das liegt vor allem an Winfried Kretschmann. Vor fünf Jahren haben sieben Prozent die Grünen wegen Kretschmann gewählt. Diesmal waren es 48 Prozent.
Kretschmann hat 130'000 Wähler von der CDU gewonnen, 178'000 von der SPD und 170'000 Nichtwähler sind wegen ihm an die Urne gegangen. Es liegt also an Kretschmann, der als Landesvater rüber kommt und fast alle Parteifarben abdeckt. Faktisch haben die Wähler das honoriert, obwohl seine Gegner über ihn geschimpft haben, er sei ‹Grüner, der schwarz rede, ohne rot zu werden›.
Die Bürger verlangen also starke Persönlichkeiten?
Sie verlangen Persönlichkeiten, die authentisch sind, die nicht einfach Phrasen absondern. Das ist wichtig, denn es gibt ein riesiges Misstrauen gegen die Politik, gegen die Regierung, gegen die etablierten Parteien und gegen die Medien. Da kommt eine Figur wie Kretschmann, der noch einen Bastelkeller hat, sehr authentisch rüber.
Wie sieht denn nun die neue deutsche Polit-Landschaft aus?
Sie ist fragmentierter. Früher gab es nur drei Parteien, jetzt gibt es fünf Parteien als Normalfall in den Landesparlamenten. Es ist also schwieriger geworden, stabile Regierungen und Koalitionen zu bilden. Früher war zumindest immer eine Koalition zwischen CDU und SPD möglich. In Baden-Württemberg ginge das jetzt nicht einmal mehr theoretisch.
Das andere ist: Nicht nur die linke Seite, auch das rechte Politspektrum ist jetzt fragmentierter. Es gibt jetzt auch eine Partei rechts von der CDU. Das ist ungewöhnlich für Deutschland, in Frankreich ist das normal. Seit 1945 gab es das in Deutschland eigentlich nicht. Das wird jetzt mindestens für die nächsten Jahre die deutsche Polit-Landschaft verändern.