In den Ländern Sierra Leone und Guinea in Westafrika gehen die Neuansteckungen deutlich zurück – und im Falle von Liberia könnte es gar sein, dass das Land schon bald frei von Ebola ist. Und doch: Experten warnen, der Kampf gegen Ebola sei noch nicht gewonnen. Noch gibt es Neuansteckungen, noch fehlt ein Impfstoff. Man müsse jetzt einen langen Atem beweisen, sagte Walter Lindner, der Ebola-Beauftragte der deutschen Regierung.
«Das Licht am Ende des Tunnels ist erkennbar, aber die letzte Meile ist noch sehr holprig», so Lindner gegenüber der Deutschen Welle. Thomas Nierle, Präsident von Médecins sans Frontières Schweiz, pflichtet ihm bei. Seine Organisation hatte früh vor der Ebolaepidemie gewarnt. Er sagt, die Hilfe für Westafrika sei zu spät gekommen – und dass Ebola keineswegs besiegt ist.
Wenn die Epidemie von Anfang an viel ernster genommen worden wäre, hätte man sie nach ein paar Wochen beenden können.
«Es ist eine grosse Illusion zu glauben, dass der Kampf gewonnen ist», sagt Nierle. Ohne zusätzliche «Werkzeuge», wie zum Beispiel einen Impfstoff, lasse sich die Epidemie auch weiter nur sehr schwer bändigen. Zwar war gestern aus Liberia zu vernehmen, dass der letzte Ebola-Kranke aus der Behandlung entlassen wurde. Solche ermutigende Zeichen dürften jedoch keineswegs als Entwarnung interpretiert werden, denn: «Jedes der betroffenen Länder hat seine eigene epidemiologische Dynamik.»
In Guinea, das von Anfang an betroffen war, habe man etwa über das ganze Jahr Fälle erlebt und immer wieder neue Höchststände erreicht, führt Nierle aus. «Dies liegt sicher daran, dass die dortige Bevölkerung schlechter informiert wurde, aber auch skeptischer gegenüber dem Gesundheitsministerium war.» Hier nahm die Zahl der Neuansteckungen, trotz allgemein sinkender Tendenz, zuletzt wieder zu. Wie auch in Sierra Leone.
In Liberia, das im letzten Sommer extrem unter der Epidemie litt und stark von internationaler Hilfe profitierte, entwickelte sich die Situation gänzlich anders. Hier habe nicht zuletzt die Informations- und Aufklärungspolitik der Regierung weit besser gefruchtet.
Kollektives Versagen
Eben diese Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft forderte Médecins sans Frontières früh und eindringlich ein – und fand damit lange kein Gehör: «Die Hilfe kam viel, viel zu spät», resümiert Nierle. Aus anderen afrikanischen Ländern habe man eines gelernt: «Wenn man früh, rasch und aggressiv agiert, kann man Ebola-Epidemien relativ schnell stoppen.»
Dies sei in Westafrika verpasst worden – mit verheerenden Folgen, wie die Bilanz von schätzungsweise 10'000 Toten zeigt. «Bei internationalen Hilfsorganisationen, aber auch den Regierungen der einzelnen Länder, hat die Epidemie anfangs viel zu wenig Aufmerksamkeit erregt.»
Das habe erst eine derart dramatische Ausbreitung des Erregers ermöglicht. Nierles ernüchterndes Fazit: «Wenn das Ganze von Anfang an viel ernster genommen worden wäre, hätte man die Epidemie nach ein paar Wochen beenden können.»
Die Lehren aus der Epidemie
Das Zeugnis des Mediziners über die Krisenbewältigung fällt verheerend aus. Gleichwohl richtet er den Blick nach vorne: «Es braucht jetzt ein ganzes Feld an Aktivitäten. Wesentlich ist die Sensibilisierung der Bevölkerung.»
Es müsse Akzeptanz dafür geschaffen werden, dass Erkrankte weiter isoliert werden, Kontaktpersonen verfolgt und ebenfalls unter Quarantäne gestellt werden müssten. Verhaltensweisen wie Begräbnis-Rituale müssten angegangen werden. In den drei Ländern seien diese Aspekte stark vernachlässigt worden. Diese Botschaften seien vorab in Sierra Leone und Guinea nicht angekommen.
Grosse Hoffnung setzt Nierle in den Impfstoff, der allerdings noch «einige Zeit» nicht zur Verfügung stehen wird: «Er wird letztendlich dazu beitragen, dass die Epidemie unter Kontrolle gebracht und beendet werden kann.» Selbst wenn der Impfstoff nicht zu 100 Prozent wirksam sein werde, sei er ein hervorragendes Werkzeug zur Kontrolle von Ebola. So schöpft auch Nierle Hoffnung – ein Jahr und tausende Menschenleben nach Ausbruch des Virus.