Die Europäische Union will Grossbritannien weitere Ausnahmen und Sonderregelungen zugestehen, um einen Austritt des Landes aus der Union zu verhindern. Es geht dabei um vier Verhandlungsbereiche:
- Verhältnis Eurozone zu Nicht-Euro-Staaten: Die Rechte von Staaten ohne den Euro (wie Grossbritannien) sollen respektiert werden. Dafür wird ein neues Verfahren überlegt, um mehr Einfluss auf neue Gesetzgebung zu nehmen. Das soll jedoch nicht zu einem Veto-Recht führen.
- Bürokratieabbau: Die Wettbewerbsfähigkeit der EU soll gesteigert werden. Das kommt Cameron entgegen, der insbesondere auf Bürokratieabbau pocht.
- Abstand zur EU: Grossbritannien bekommt die Zusicherung, sich politisch nicht weiter in die EU integrieren zu müssen. Das soll allenfalls später in den EU-Verträgen verankert werden. 55 Prozent der nationalen Parlamente sollen bei neuer EU-Gesetzgebung unter bestimmten Bedingungen die «rote Karte» zeigen können.
- Sozialleistungen für EU-Bürger: Geplant ist eine «Notbremse», die bei starker Zuwanderung von EU-Bürgern gezogen werden kann. Dann könnten Sozialleistungen für diese Gruppe beschränkt werden. Es ist von «bis zu vier Jahren» die Rede. Dies soll aber nur für Neuankömmlinge gelten und nicht für bereits ansässige EU-Bürger.
Diskussion am EU-Gipfel
Es handelt sich bisher um einen Vorschlag von EU-Ratspräsident Donald Tusk, nicht aller 28 EU-Staaten. Der neunseitige Entwurf soll am EU-Gipfel am 18. und 19. Februar diskutiert werden. Eine erste Debatte über die Vorschläge ist am Freitag mit den Chef-Unterhändlern der EU-Staaten und den ständigen EU-Botschaftern geplant.
Cameron: «Harte Verhandlungen»
In einer ersten Reaktion zeigte sich Cameron überzeugt, dass harte Verhandlungen zu einem guten Resultat für Grossbritannien geführt hätten. Vier Anliegen seien für ihn zentral, und alle vier Anliegen seien in den EU-Vorschlägen enthalten, betonte er: «1. Grossbritannien bleibt ein stolzer, unabhängiger Staat. 2. Die EU wird wettbewerbsfreundlicher. 3. Die Ungerechtigkeit zwischen der Eurozone und EU-Staaten mit anderen Währungen wird angegangen. 4. Der Druck durch die Migration nimmt ab.»
Gleichzeitig warb Cameron bereits für ein Ja bei der bald anstehenden Volksabstimmung über einen Verbleib Grossbritanniens in der EU. Diese soll vielleicht schon Mitte Jahr, spätestens aber bis Ende 2017 abgehalten werden: «Unter den neuen Umständen würde ich mich klar für die EU aussprechen», so der Premierminister.
Erwartungsgemäss sieht das Camerons innenpolitischer Gegenspieler Nigel Farage etwas anders. Der Chef der populistischen, EU-kritischen Partei Ukip nannte die Reformvorschläge aus Brüssel «erbärmlich».
Drehbuch für Abstimmungskampf steht
SRF-Korrespondent Urs Gredig in London betont, es falle schon auf, dass der Entwurf von Donald Tusk weit davon entfernt sei, was Premierminister David Cameron ursprünglich für Grossbritannien gefordert habe.
Das angekündigte Referendum könnte schon im Juni stattfinden und dieser Termin sei sehr wahrscheinlich. Ein knapp 16 Wochen dauernder Abstimmungskampf sei sicher im Interesse aller EU-Befürworter. «Je länger die Diskussion läuft, desto stärker dürften die EU-Gegner werden. Und das habe vor allem mit dem Thema Emigration zu tun», sagt Gredig. Denn eine weitere Flüchtlingswelle im Frühling wäre Wasser auf die Mühlen der EU-Gegner.
Auch SRF-Korrespondent Sebastian Ramspeck in Brüssel sieht die Vorschläge von Tusk als ziemlich realistisch an. Es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass noch Mitgliedstaaten Widerstand leisten könnten. «Aber das Drehbuch steht fest, am Ende es soll einen Deal geben, damit Cameron werben kann für den Verbleib von Grossbritannien in der EU.»
Schwierige Ausgangslage für die Schweiz
Was bedeutet das für die Schweiz? Weil die Verhandlungen mit der Schweiz blockiert sind, bis die EU eine Einigung mit Grossbritannien erzielt hat, ist der Fortschritt bei den Brexit-Verhandlungen ein Vorteil für die Schweiz. Nur gehe aber die Forderung der Masseneinwanderungsinitiative sehr viel weiter als der Kompromiss mit Grossbritannien, erklärt Sebastian Ramspeck: «Anders gesagt: Wenn der Bundesrat die Masseneinwanderungsinitiative im Einvernehmen mit der EU umsetzen will, dann muss er sehr viel grössere Zugeständnisse erhalten als David Cameron.»