Mindestens 25 Menschen hat die türkische Polizei in der Nacht festgenommen. Die Festgenommenen sollen «irreführende und beleidigende Informationen» auf Twitter veröffentlicht haben. Gleichzeitig gehen die Proteste in Istanbul weiter. Die meisten Demonstrierenden folgen Aufrufen auf Twitter. Auf der Kurzmeldungs-Plattform sind seit Beginn der türkischen Bewegung mehrere Millionen Tweets zum Thema verschickt worden.
«Lügenplattform Twitter»
Obwohl immer wieder Gerüchte kursierten, die Regierung wolle das Handynetz abstellen, sind Twitter und andere soziale Netzwerke in der Türkei nach wie vor erreichbar. Regierungschef Recep Tayyip Erdogan betonte am Wochenende allerdings, die sozialen Medien seien die schlimmste Bedrohung von Gesellschaften. «Es gibt etwas, was sich Twitter nennt – ein Plage. Die grössten Lügen sind hier zu finden». Trotz seiner Kritik: Auch Erdogan hat einen Twitter-Account. Seinen Nachrichten folgen mehr als 2,7 Millionen Twitter-Nutzer.
Statistik Social Media-Nutzung
Dass Erdogan so viele Follower hat, kommt nicht von ungefähr. Obwohl in der Türkei etwas mehr als die Hälfte der Einwohner noch nicht über einen Internetanschluss verfügt, nutzen im Verhältnis mehr Leute Social Media als in beispielsweise in Deutschland. Laut einer Umfrage von Ende 2012 sind 35 Prozent der Türken auf sozialen Plattformen registriert. Bei der Nutzung von Facebook war die Türkei im vergangenen Jahr sogar Weltspitze.
Vertrauensverlust stärkt soziale Netzwerke
Der typische Internet-Nutzer in der Türkei ist männlich und zwischen 18 und 24 Jahre alt. Er sei bei weitem nicht nur der Oberschicht zuzuordnen, weiss Soziologin Nilüfer Narli von der Bahcesehir-Universität. «Untersuchungen haben ergeben, dass das genauso die Wenigverdiener betrifft.» In ihrer Untersuchung zur Nutzung von Social Media in der Türkei ging die Soziologin auch der Frage des Warums nach. Dies liege in erster Linie am geringen Vertrauen in die klassischen Medien. «Viele Menschen hier glauben zum Beispiel, dass alle Zeitungen und Fernsehkanäle von Einzelnen kontrolliert und gesteuert werden. Mit diesem Vertrauensverlust wächst gleichzeitig das Vertrauen in alternative Medien.»
Weil sie den offiziellen Kanälen misstrauen, melden sich so viele Türken über soziale Netzwerke zu Wort. Dies beobachtet auch Manuel Nappo, Leiter der Fachstelle für Social Media an der Hochschule für Wirtschaft Zürich: «Stammten bei den arabischen Revolten in Ägypten nur rund 30 Prozent der Tweets aus der Region, sind es bei den aktuellen Aufständen in der Türkei um die 95 Prozent.»
Nappo rechnet damit, dass die Proteste weiter anhalten. Gerade aufgrund der Berichterstattung via Social Media wollen sich nun viele Türken selbst ein Bild der Lage vor Ort machen. Somit könnten am nächsten Wochenende noch mehr Menschen auf die Strassen von Istanbul und anderen türkischen Städten strömen.