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«Was die Schweiz leistet, ist sicher restpektabel»
Aus News-Clip vom 02.09.2015.
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International «Freiwillig geht nicht»

Nicht die EU habe in der Flüchtlingskrise versagt, sagt EU-Parlamentspräsident Martin Schulz in der «Rundschau». Vielmehr seien es einzelne Regierungen, die keine Verantwortung übernehmen wollten.

SRF Rundschau: Tausende Menschen auf der Flucht, ein Stacheldrahtzaun als Symbol der Hilflosigkeit und eine EU, die keine gute Figur macht. Warum versagt die EU in der Flüchtlingsfrage?

Martin Schulz

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Der deutsche Politiker ist Präsident des EU-Parlaments und SPD-Mitglied. Von 2004 bis 2014 präsidierte er zudem die Sozialistische Fraktion im EU-Parlament.

Martin Schulz: Die Frage ist sicher berechtigt. Aber die Antwort ist nicht, dass die EU versagt. Versagen tun die Regierungen, die den nationalen Egoismus vor den Gemeinschaftsgeist stellen. Wir erleben gerade, was passieren wird, wenn diejenigen Recht behalten, die sagen: Wir brauchen keine EU, das können wir als Nationalstaaten alleine regeln. Wir sehen: Das geht eben nicht. Auf globale Herausforderungen können Sie keine nationale Antwort geben.

Sie brauchen harte Worte – nationaler Egoismus, sagen Sie. Aber das sagen Sie doch schon seit Jahren. Hört man Ihnen denn nicht zu?

Ich sage das nicht nur seit Jahren, wir sagen das im europäischen Parlament seit Jahrzehnten. Aber das ist eine Politik, die in den Händen der Hauptstädte liegt und nicht in den Händen von Brüssel.

Benennen Sie doch die Drückeberger. In welchen europäischen Hauptstädten sitzen die?

Wir haben morgen eine Begegnung in Brüssel mit Viktor Orban, dem Premierminister von Ungarn, das ist ein gutes Beispiel. Ungarn baut diesen Zaun, der das Problem nicht lösen wird. Kaum ist der Zaun fertig, kommen die Leute über die Schienengleise. Ungarn setzt sie dann in die Züge, um sie nach Berlin zu bringen oder nach München.

Wenn wir ein Verteilungssystem unter den 28 Mitgliedstaaten hätten – auf der Grundlage der Einwohnerzahl im Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, hätte Ungarn wahrscheinlich weniger Flüchtlinge im Land als jetzt. Das ist der Unterschied zwischen Pragmatismus bei der Lösung eines Problems und Ideologie, die zurzeit in Budapest herrscht. Und das werde ich Herrn Orban morgen sagen.

Nochmals: Wo sitzen denn die Schuldigen, wenn nicht bei Ihnen in Brüssel?

Die Regierungen der nationalen Hauptstädte sitzen bekanntlicherweise in Berlin, in Paris, in London, in Rom, in Madrid, nicht in Brüssel. Asylpolitik ist Politik der Mitgliedstaaten, der souveränen Staaten. Die Institutionen der EU – das Parlament, die Kommission – haben seit Jahren Vorschläge zu einem legalen Einwanderungsrecht in Europa gemacht, Vorschläge zur Ausweitung des temporären Schutzes für Bürgerkriegsflüchtlinge, zu einer Quotenverteilung unter den Mitgliedstaaten.

Wenn fünf Länder – Deutschland, Frankreich, Italien, Schweden und Österreich – 50 Prozent aller Flüchtlinge aufnehmen müssen, dann ist das etwas anderes, als wenn Sie beispielsweise 400‘000 Flüchtlinge unter 570 Millionen Menschen in 28 Ländern der EU gerecht verteilen.

Dass andere Länder sagen, wir nehmen überhaupt keine Flüchtlinge, weil sie kulturell darauf nicht vorbereitet seien – so hat man das, glaube ich, in Polen ausgedrückt – dann ist das ganz sicher nicht der Gemeinschaftsgeist, den wir brauchen.

Von den 40'000 Flüchtlingen, die unter den 28 Staaten verteilt werden sollten, wurden bis heute nicht einmal 30‘000 verteilt.
Autor: Martin Schulz EU-Parlamentspräsident

Droht die EU auseinanderzubrechen, weil diese Solidarität nicht vorhanden ist?

Die EU wird nicht auseinanderbrechen und ich glaube, dass wir das Problem lösen werden. Was wir jetzt tun müssen, ist, konkrete Vorschläge auf den Tisch zu legen – wieder einmal. Vorschläge, die wir schon oft auf den Tisch gelegt haben, werden jetzt wieder auf den Tisch gelegt; Jean-Claude Juncker wird das nächste Woche tun. Er wird das auf Grundlage des Gemeinschaftsrechts tun.

Wir haben ja vor zwei Monaten erlebt, dass die 28 Regierungschefs mit einer freiwilligen Vereinbarung erreichen wollten, 40‘000 Flüchtlinge unter den 28 Staaten neu zu verteilen. Davon sind bis heute nicht einmal 30‘000 verteilt worden. Freiwillig geht also nicht. Deshalb müssen wir rechtsverbindliche Normen vorlegen. Die müssen mit Mehrheitsentscheidung im Parlament und im Ministerrat verabschiedet werden. Dann werden wir ja sehen, welche Länder zustimmen und welche Länder Nein sagen.

Gerade in Deutschland ist eine grosse Solidarität mit den Flüchtlingen zu spüren. Wie aber soll mit der Angst umgegangen werden, dass wir in Europa überrollt werden?

Ich glaube, dass man Ängste ernst nehmen muss. Ich war viele Jahre lang Bürgermeister einer Stadt an der Grenze zu den Niederlanden und Belgien und habe meine Erfahrungen mit der Asylpolitik gemacht. Menschen, die Sorge und Nöte haben, muss man zuhören. Vor allem muss man den Städte und Gemeinden helfen, für eine vernünftige Unterbringung zu sorgen.

Wenn Menschen aus Syrien vor der mörderischen Brutalität des Islamischen Staates fliehen und dann in Deutschland auf Menschen treffen, die die Unterkünfte für diese armen Opfer in Brand stecken, dann habe ich für die Brandstifter nur Verachtung übrig. Es kann nur eine Antwort geben: Diese Leute müssen die uneingeschränkte Härte des Gesetzes spüren.

Simonetta Sommaruga macht eine tolle Arbeit, in jeder Hinsicht.
Autor: Martin Schulz EU-Parlamentspräsident

Auch in der Schweiz sind erste Flüchtlinge aus Budapest eingetroffen, obwohl es noch wenige sind. Was ist Ihre Botschaft an unser Land, an Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga, die Sie ja demnächst an einem Anlass der SP sehen werden?

Ich finde, dass Simonetta Sommaruga eine tolle Arbeit macht, in jeder Hinsicht. Ihr sensibler und einfühlsamer Politikstil findet auch hier in Brüssel grosse Resonanz. Auch in vielen anderen Fragen macht Frau Sommaruga eine sehr gute Figur. In Europa sollten ja wie gesagt 40‘000 Flüchtlinge verteilt werden. Die Schweiz hat nach meinem Kenntnisstand bisher 10‘000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Die Schweiz ist nicht das grösste Land in Europa. Deshalb finde ich das, was die Schweiz in diesem Bereich leistet, sicher respektabel.

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