Israel und die Hamas versuchen, sich gegenseitig mit Raketen und Bomben in die Knie zu zwingen. Dazwischen steht die Zivilbevölkerung. In Israel bringen Sirenen den Alltag durcheinander. Gleichzeitig stehen auch die Menschen im Gazastreifen seit Tagen unter Beschuss. Das schürt die Wut. Auch bei Sami al Ajrami.
Der palästinensische Journalist lebt in Gaza-Stadt und arbeitete als Korrespondent fürs das israelische Fernsehen, als das im Gazastreifen noch möglich war. Ajrami ist kein Freund der radikal-islamischen Hamas. Doch es fällt ihm schwer, die nüchterne Distanz zu wahren, angesichts dessen, was er in den letzten vier Tagen gesehen hat: Krankenwagen mit heulenden Sirenen, die Trümmer, die Verzweiflung von Angehörigen, gebeugt über tote Kinder in den Leichenhallen der Spitäler.
Es stimmt, die israelische Armee gab Vorwarnungen ab, bevor sie Wohnhäuser beschoss, sagt der Journalist. Doch manchmal kämen sie zu knapp. Oder gar nicht.
Leere Strassen in Gaza-Stadt
Israel wirft der Hamas vor, sie missbrauche Zivilisten gezielt als menschliche Schutzschilde. Dafür gibt es tatsächlich Hinweise. «Doch was beschützte die Gruppe von Männern, die in einem Strandcafé ein Spiel der Fussballweltmeisterschaft schaute, und die von einer Granate getroffen wurde?», fragt sich Ajrami.
Mindestens 113 Menschen seien bisher im Gazastreifen getötet worden, berichtet das Gesundheitsministerium in Gaza. Etwa 780 wurden verletzt. Zwei Drittel der Opfer seien Zivilisten.
In Gaza-Stadt seien die Strassen leer. Die Menschen hätten Angst. Nur am Nachmittag vor den Bäckereien sehe er viele Leute beisammen, sagt Ajrami, oder an Beerdigungen, wo die Toten als Helden des palästinensischen Widerstands gefeiert werden – und dies nicht nur von den Anhängern der militanten Gruppen.
Die islamistische und israelfeindliche Hamas war vor acht Jahren vom Volk als die saubere Alternative zur korrupten Fatah des früheren Palästinenserpräsidenten Yassir Arafat gewählt worden. Aber sie hat es nicht geschafft, die Not der Bevölkerung zu lindern und die israelische Wirtschaftsblockade zu beenden.
Wettstreit der Hamas mit dem Jihad
Im Gegenteil: Die Armut im Gazastreifen ist sogar noch grösser geworden, seit auch die ägyptische Regierung mit der Hamas wegen ihrer Verbindungen zu den Muslimbrüdern gebrochen hat. Aber unter israelischem Bombardement verstumme jede Kritik, sagt der Journalist resigniert. Das sei früher so gewesen, und das sei jetzt nicht anders, sagt Ajrami.
Die Hamas wisse das ganz genau. Sie liefere sich mit der anderen grossen militanten Bewegung, dem islamischen Jihad, einen eigentlichen Wettstreit im Beschuss israelischer Ortschaften. Je weiter weg vom Gazastreifen das Ziel sei, umso grösser der Propagandaerfolg. Viele Leute sähen den Beschuss Israels als legitime palästinensische Reaktion auf den Tod ihrer Angehörigen im Gazastreifen.
«Israel hat Gaza im Würgegriff»
Jasim al Shauwa besitzt eine Druckerei in Gaza-Stadt. Doch seit drei Tagen ist sie geschlossen. «Zu gefährlich», sagt der Geschäftsmann. Von seiner Wohnung im Hochhaus beim Hafen von Gaza-Stadt überblickt al Shawa den Strand. Abends flanierten dort jeweils viele Menschen. Seit Dienstag ist auch diese Gegend wie ausgestorben.
Shauwa unterstützt weder die Hamas noch die Fatah. Nur Palästina, seine Heimat, sagt der Geschäftsmann. Warum aber diese Wut auf den grossen Nachbarn, auf Israel, die den Extremisten den Nährboden gibt? «Israel hat Gaza im Würgegriff», sagt er.
Das Land könne Nahrungsmittel, Medizin, Windeln, was auch immer, reinlassen oder nicht. Den Strom reduzieren oder kappen. Den Bezinhahn zudrehen oder nicht. Wie es will. Solange sich daran nichts ändert, würden immer Leute zu verzweifelten Massnahmen greifen und mit allen denkbaren Mitteln versuchen, Israel zu schaden, ist Shauwa überzeugt.
Angst vor Einmarsch der Bodentruppen
Die israelische Regierung bestreitet diese Lesart des Konflikts. Sie sieht sich einem islamistischen Terrorregime gegenüber, das Israel vernichten wolle. Im Norden des Küstenstreifens kursieren nun auch noch Gerüchte über eine bevorstehende israelische Bodenoffensive.
Die Famlien im Gebiet nahe der Grenzmauer wurden am Donnerstag aus Israel per SMS aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen, sagt Journalist Ajrami. Ist das israelische Propaganda oder ein Vorzeichen eines tatsächlichen Einmarsches?
Sicher ist nur, es hat die Angst in dem übervölkerten Palästinensergebiet, aus dem es auf keiner Seite ein Entrinnen gibt, noch verstärkt. Ägypten hat zwar seinen Grenzübergang in Rafah am Donnerstag geöffnet. Aber nur für Verwundete und ägyptische Staatsangehörige, nicht für palästinensische.