Wäscheleinen hängen zwischen den grossen Bäumen des Parks unmittelbar unterhalb des Bahnhofs St. Giovanni in Como. Im Schatten der Bäume liegen ein paar Dutzend Menschen, alleine oder nahe beisammen. Die Luft flimmert. Je nach Windgang stinkt es nach Abfall, der vom Abfallsack-Berg ein paar Meter hinter den liegenden Menschen stammt.
Ich habe den Zug genommen. Den Bus. Immer haben sich mich wieder zurückgeschickt.
Die meisten Flüchtlinge sind Männer. Männer wie Ahmed Ali. Er sei 38 und komme aus Somalia, sagt er. Seit einer Woche schlafe er hier: «Ich wollte mit dem Zug in die Schweiz, aber die Grenze ist blockiert». Ahmeds Ziel ist nicht die Schweiz, sondern Deutschland. Als Transitreisender hat er jedoch keine Chance durchzukommen. Ahmed hat es mehrere Male versucht. Mit dem Zug. Mit dem Bus. Immer wieder seien sie gekommen und hätten ihm gesagt, er solle zurück nach Italien. «Viermal habe ich es probiert. Nun warte ich hier. Ich warte auf ein Wunder.»
Ein anderer Mann, er stammt aus Nigeria, gesellt sich hinzu, um immer und immer wieder die gleichen Fragen zu stellen: «Warum dürfen wir nicht in die Schweiz? Warum gibt uns die Schweiz nicht wenigstens Schutz, wie das Italien macht?»
Die Leute in Como seien sehr nett, sagt er. Einige brächten etwas zu essen. Trotzdem sei das kein Leben hier, ergänzt der Mann. «Wir leben hier das Leben von Verrückten. Wenn das so weitergeht, bin ich sicher, dreht hier jemand durch!»
Hinter ihm tauchen zwei Polizisten auf. Sie sorgen rund um die Uhr dafür, dass die Situation nicht eskaliert. Bis jetzt habe es keine Zwischenfälle gegeben, sagen sie. Die rund 70 Menschen, die hier warten, verhielten sich anständig. Die Polizisten kennen sich aus. Sie haben schon in Lampedusa, Ventimiglia oder Mailand Flüchtlinge bewacht. Hier in Como sei die Stimmung viel weniger aggressiv. Was auch an den Diensten der Freiwilligen liege.
Treibende Kraft gegen eine Eskalation der Situation in Como ist Roberto Bernasconi. Er ist Direktor der Caritas der Diözese Como. In den Kirchenräumlichkeiten beherbergt er 50 Menschen. In und um Como selber seien über 700 Flüchtlinge, die alle irgendwo schlafen müssten und Essen brauchten.
Como habe seit dem Ansturm der Tunesier vor vier Jahren Erfahrung im Umgang mit Flüchtlingen. Jetzt aber, da die Schweiz eine strikte Antitransitland-Politik betreibe und konsequent zurückschaffe, habe sich die Situation verändert: «Die Flüchtlinge wollen die Grenze überqueren. Bringen wir sie vom Bahnhof weg, um sie unterzubringen, denken sie auch, wir wollten sie daran hindern. Sie sind argwöhnisch und ablehnend. Der Kontakt mit ihnen ist kompliziert.»
Immer wieder verschwinden Leute aus der Unterkunft der Caritas. Sie steigen wieder in einen Zug. Oder in einen Bus. Wenige versuchen es zu Fuss über die Grenze durch eines der Täler. Viele versuchen es vier, fünf Mal. Und immer wieder landen sie hier bei Roberto Bernasconi.
«Sie kommen mir vor wie Fliegen, die wieder und wieder in die Scheiben eines geschlossenen Fensters fliegen.» Die Situation sei tragisch und Resignation keine Lösung. Zu gross sei die Gefahr für viele der noch jungen Menschen. Viele, die jetzt kämen, hätten kein Geld; im Gegensatz zu den Syrern. Daher seien Schlepper derzeit kein grosses Thema, sagt Bernasconi. Dafür Drogen und Prostitution.
«Frauen und auch junge Männer werden als Prostituierte missbraucht, oder sie werden ins Drogengeschäft verwickelt. Es gibt viele Opportunisten, auch unter den Flüchtlingen. Wir müssen wachsam sein, die Situation ist gefährlicher geworden für die Flüchtlinge.»
Noch könnten die Bewohner von Como mit den Problemen umgehen, sagt der Caritas-Direktor. Noch.