Nähme die britische Wirtschaft bei einem EU-Austritt Schaden oder bekäme sie vielmehr neue Chancen? Dies wird im Abstimmungskampf zum «Brexit»-Referendum am 23. Juni eine der zentralen Streitfragen in Grossbritannien bleiben. Über sind bereits jetzt dunkle Wolken aufgezogen.
Osborne: «Es geht hier um unseren Lebensstandard!»
Ein «Brexit» könnte dem zweitgrössten Finanzzentrum der Welt schweren Schaden zufügen, befürchten 39 von 45 durch die Nachrichtenagentur Reuters befragte Währungsexperten. Und eben erst machte Frankreichs Wirtschaftsminister Emmanuel Macron den Londoner Bankern gar Avancen, sie seien nach einem «Brexit» in Paris willkommen.
Zwar wird erst Ende Juni abgestimmt, aber schon die Unsicherheit über die Zukunft des Landes in der EU zeigt Wirkung: Seit November hat das britische Pfund gegenüber dem Euro rund 12 Prozent verloren. Dieser Schatten, den die «Brexit»-Abstimmung in der Londoner City vorauswirft, mobilisiert die Unternehmer: 200 von ihnen haben sich kürzlich in einem offenen Brief für einen Verbleib in der EU ausgesprochen.
Auch Finanzminister George Osborne warnt eindringlich vor einem Alleingang: «Wir sprechen hier nicht von einem lustigen Ausflug ins Unbekannte. Es geht hier um unsere Jobs, unseren Lebensstandard. Das ist eine todernste Sache.»
Boris Johnson sieht neue Chancen
Allerdings teilen die Besorgnis des Finanzministers auch in London nicht Alle. Boris Johnson, immerhin Bürgermeister der grössten Finanzmetropole Europas und nach wie vor das Gesicht des «Brexit»-Lagers, sieht in einem EU-Austritt vielmehr neue Möglichkeiten: «Nur so können wir neue Freihandelsabkommen mit Wachstumsländern schliessen und nebenbei 350 Millionen Pfund pro Woche an EU-Beiträgen sparen.» Grossbritannien müsse aus dem Auto aussteigen, in dem man als Beifahrer eines unberechenbaren Chauffeurs sitze, ohne die Kontrolle über die eingeschlagene Richtung zu haben.