In der Türkei konzentriert sich nach den Bombenanschlägen die Suche nach den Schuldigen auf die Terrormiliz «Islamischer Staat». Der stellvertretende Regierungschef Numan Kurtulmus teilte mit, die Ermittlungen seien mehr oder weniger abgeschlossen: Zwei Selbstmordattentäter hätten mit 10 Kilogramm TNT-Sprengstoff das Attentat am Samstag in Ankara begangen. Wahrscheinlich gehörten sie zur IS-Terrormiliz.
Zuvor hatte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu im türkischen Sender NTV aber erneut auch die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK und die linksextreme Terrorgruppe DHKP-C als mögliche Urheber der Tat genannt.
Wahlen sollen stattfinden
«Wir sind nahe an einem Namen dran, der auf eine Gruppe hinweist», sagte Davutoglu am Montag. Es würden die DNA-Spuren ausgewertet, um einen der beiden Attentäter zu identifizieren. Die Anschläge sind nach seiner Einschätzung der Versuch, die vorgezogene Parlamentswahl am 1. November zu beeinflussen. Trotz der aufgeheizten politischen Atmosphäre versicherte der Regierungschef, die Wahl werden wie geplant stattfinden.
Allerdings zweifeln grosse Teile der Bevölkerung daran, dass wirklich der IS hinter der Tat steckt. Es sei eine Sündenbock-Strategie, den IS zu verdächtigen; die Regierung selber stehe hinter dem Anschlag, glauben sie. Im ganzen Land finden Proteste statt gegen die Regierung und vor allem gegen Präsident Erdogan: Sit-ins im Istanbuler Gericht, Kundgebungen an den Universitäten und Streiks in den Firmen und Fabriken. Viele der Opfer von Ankara waren Gewerkschafter, Arbeiter, Studenten.
HDP sagt Wahlkampf ab
Das Attentat hat auch Auswirkungen auf den Wahlkampf: Die prokurdische Partei HDP wird keine grossen Wahlveranstaltungen mehr abhalten. Nicht weil man Angst habe, sondern weil es unmöglich und falsch sei in dieser Situation, sagte der Chef der HDP, Selahattin Demirtasch. Zuvor hatte ein HDP-Sprecher gesagt, man fürchte um die Sicherheit der Teilnehmer. Die HDP geht davon aus, dass ihre Anhänger Ziel der Bombenanschläge mit offiziell 97 Toten und über 500 Verletzten war.
Die islamisch-konservative AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan ihrerseits kündigte an, bis Freitag auf alle Wahlkampfveranstaltungen zu verzichten. Ein Regierungsvertreter sagte, die Sicherheitsvorkehrungen im Land seien nach dem Anschlag verschärft worden.
Konflikt mit der PKK geschürt?
Zu der Kundgebung am Samstag hatten pro-kurdische Aktivisten und Bürgerrechtler aufgerufen, die ein Ende der Kämpfe zwischen der Armee und der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK erreichen wollen. Vergangenen Juli hatte die türkische Regierung nach mehreren Angriffen auf Polizei und Armee einen zwei Jahre währenden Waffenstillstand mit der PKK aufgekündigt.
Am Montag bekräftigte die PKK die am Wochenende angekündigte einseitige Feuerpause, um der Toten des Anschlags zu gedenken. Die türkische Luftwaffe hatte am Sonntag Angriffe auf PKK-Stellungen im Grenzgebiet geflogen.
Die HDP wirft Erdogan vor, ein politisches Interesse am Konflikt mit der PKK zu haben, um bei der Wahl am 1. November die absolute Mehrheit zu erreichen. Bei der Wahl im Juni hatte die HDP überraschend stark abgeschnitten, was die AKP ihre absolute Mehrheit kostete. Erdogan hoffte eigentlich auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit zum Ausbau seiner Macht. Die Neuwahl wurde ausgerufen, weil die Koalitionsgespräche scheiterten.
Schwere Vorwürfe an Erdogan
Erneut warfen am Montag hunderte Demonstranten in Istanbul Erdogan eine Mitverantwortung für die Anschläge vor. Auf dem Weg zur Trauerfeier für Opfer des Anschlags skandierten sie: «Dieb, Mörder Erdogan». Die Polizei war mit Wasserwerfern und gepanzerten Fahrzeugen vor Ort, zu grösseren Ausschreitungen kam es aber nicht. Bereits am Sonntag hatten Tausende gegen Erdogan protestiert.