Das Wichtigste in Kürze
- Knapper Ausgang einer umstrittenen Abstimmung: 51,3 Prozent der türkischen Bevölkerung stimmten der Einführung des Präsidialsystems und der entsprechenden Verfassungsreform zu.
- Der politische Systemwechsel ist einschneidend für das Land und bedeutend für Präsident Recep Tayyip Erdogan.
- Der Ausgang ist so knapp, dass die Verlierer nicht glauben, was die Sieger sagen. Nicht nur die Opposition stellt sich am Tag nach dem Votum einige Fragen.
Der Präsident triumphiert. Er hat sich zum Sieger erklärt. Danach tat dies auch die Wahlkommission: Nach dem vorläufigen Resultat habe das Ja-Lager gewonnen, sagte der Chef der Wahlkommission am späten Abend. Da jubelten die Anhänger des Präsidenten in Ankara schon längst.
In Istanbul begannen kurz darauf in einzelnen Quartieren die Leute mit Löffeln auf Pfannen zu schlagen – als Zeichen des Protests.
Fragen über Fragen der Opposition
Der Ausgang ist so knapp, dass die Verlierer nicht glauben, was die Sieger sagen. Sie fragen sich, warum von den regierungsnahen Medien frühzeitig ein Sieg des Ja-Lagers vermeldet wurde, obwohl längst noch nicht alle Stimmen ausgezählt waren. Und obwohl das Ergebnis so knapp war?
Und weiter: Warum lässt die Wahlkommission Wahlzettel gelten, denen der erforderliche Stempel fehlt? Die Fragen stehen im Raum. Die Opposition ficht das Ergebnis an.
Mächtiger denn je
Präsident Erdogan triumphiert. Und erklärt, wohin die Reise geht: Die Wiedereinführung der Todesstrafe erachte er als seine erste Aufgabe. Der Präsident ist mächtiger denn je und er hat erreicht, was er seit Jahren angestrebt hat: ein politisches System, das praktisch die ganze exekutive Macht in seine Hände legt. Ein System, in dem der Präsident Staats-und Regierungschef in einer Person ist, Minister und Richter selber ernennen kann. Sogar Chef einer Partei sein kann.
Sollte Erdogan 2019 und 2024 die Wahlen gewinnen, würde er bis 2029 Präsident der Türkei bleiben. Er hat versprochen, das Land umzubauen. Staatsgründer Atatürk hatte die Türkei als eine parlamentarische Demokratie gegründet. Präsident Erdogan baut diesen Staat nun zurück: Das Parlament ist nicht mehr die gewichtigste politische Instanz in der Türkei.
Tief gespalten
Die Hälfte der Türkinnen und Türken folgt ihm. Aber was ist mit den anderen 50 Prozent? Gerade Verfassungsänderungen brauchen eine besonders breite Zustimmung.
Die türkische Nation aber ist tief gespalten. In Zentralanatolien erhielt die Verfassungsreform am meisten Zustimmung. In den Mittelmeer-Küstenregionen und im Westen aber dominierte das Nein: die grossen Städte Istanbul, Ankara und Izmir hat Präsident Erdogan verloren. Ein tiefer Graben zieht sich durch die Bevölkerung, jetzt, wo der gesellschaftliche Konsens so nötig wäre.
Beachtliche Leistung trotz Enttäuschung
Für die Opposition und generell die Gegner der Verfassungsreform ist das Ergebnis eine tiefe Enttäuschung: sie hofften auf den Sieg, trotz massiver Benachteiligung im Abstimmungskampf.
Angesichts der Umstände aber ist das Resultat des Nein-Lagers eine beachtliche Leistung. Das Land ist im Ausnahmezustand, Oppositionelle sitzen im Gefängnis, Gegner des Präsidialsystems wurden eingeschüchtert. Sie, die sich in der Tradition Atatürks sehen, fürchten nun um die Werte der Republik, um die demokratisch-säkulare Ideologie. Und um die Nähe zu Europa.