Erstmals steht Georgien vor einem demokratischen Wandel an der Staatsspitze. Rund 3,5 Millionen Wahlberechtigte wählen am Sonntag den Nachfolger des amtierenden Präsidenten Micheil Saakaschwili. Der 45-Jährige darf nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten.
Einst als gefeierter Held mit der Rosenrevolution 2003 an die Macht gekommen, hatte der westlich geprägte Saakaschwili Hoffnungen auf einen demokratischen Wandel genährt. Diese Zeiten sind vorbei: «Saakaschwili wird von vielen verachtet, da er immer autoritärer geworden ist», sagt SRF-Korrespondent Peter Gysling.
Sinkender Stern
Die ersten Kratzer erhielt Saakaschwilis Image bereits 2008. Die EU machte ihn damals für den verlorenen blutigen Südkaukasus-Krieg gegen Russland verantwortlich. Sein politischer Niedergang nahm vor einem Jahr seinen Lauf. Bei den Parlamentswahlen verlor er überraschend gegen den schwerreichen Herausforderer Bidsina Iwanischwili und dessen Allianz «Georgischer Traum».
Das Bündnis dürfte auch bei diesen Wahlen siegreich sein. Es tritt mit dem bisherigen Bildungsminister Georgi Margwelaschwili an – einem engen Vertrauten von Iwanischwilis.
Aufbruchstimmung vor einem Jahr
Die politische Neuausrichtung fing bereits vor einem Jahr an: «Seither hat der Präsident eigentlich nur noch eine symbolische Funktion. Die Entscheidungen werden nun vom Parlament gefällt», sagt Gysling.
«Die Stimmung ist seitdem spürbar besser geworden», betont der Korrespondent. Ihm pflichtet der Schweizer Botschafter Günther Bächler bei: «Man spürte im ganzen Land ein Aufatmen. Der Druck betreffend Menschenrechte und Gefängnisse der früheren Regierung war gross. Dieser fiel von einem Tag auf den andern weg.»
Daneben haben sich auch die Beziehungen zu Russland verbessert. Mittlerweile gibt es wieder direkte Flugverbindungen zwischen Tiflis und Moskau. Auch Wein und Mineralwasser dürfen die Georgier wieder zu ihrem grossen Nachbarn exportieren.
Logistik nicht vorhanden
Dennoch: Auf seiner Reise durch Georgien ist Korrespondent Gysling auf grosse Armut gestossen. «In Tiflis sind viele Häuser verlottert und baufällig.» Strassen seien kaputt – Heizungen auch. Von den Landstrichen nicht zu reden, diese seien «gottverlassen», so Gysling.
Ein Grund sind die Handelsrouten. «Der Eisenbahnverkehr funktioniert praktisch nicht», so Gysling. Angedachte Projekte seien blockiert. «Viele Georgier leben weiterhin von der Selbstversorgung oder vom Tauschhandel.»
Egal in welcher Richtung das Land sich entwickelt, der grosse Mann hinter dem «Georgischen Traum» – Iwanischwili – wird voraussichtlich nicht mehr dabei sein. Der 57-Jährige will sich noch vor Jahresende zurückziehen, da er seine Aufgabe in der Politik erfüllt sieht. Wie die Wähler auf seine kürzliche Ankündigung reagieren, wird sich am Sonntag zeigen.