Bei der Parlamentswahl in Iran zeichnet sich eine hohe Beteiligung ab. Medien berichteten von Schlangen vor vielen Wahllokalen in der Hauptstadt Teheran.
Präsident Hassan Ruhani zeigte sich nach der Stimmabgabe im Innenministerium zufrieden mit dem bisherigen Ablauf. Der Spitzenkandidat der Reformer, Mohammed-Resa Aref, sagte: «Wir könnten heute die 70-Prozent-Marke knacken».
«Hohe Wahlbeteiligung nützt Reformkräften»
Die hohe Wahlbeteiligung nütze vor allem den Reformern, sagt SRF-Korrespondent Pascal Weber. Das habe die Vergangenheit schon gezeigt. «Die Reformkräfte haben enorm viel gemacht in den letzten Tagen für die Mobilisierung der Wähler, sie haben auch via Social Media zur Beteiligung aufgerufen».
Sie sähen jetzt die grosse Chance, ihre Position zu stärken. Doch selbst wenn die Reformkräfte deutlich zulegen, breche im Land deshalb nicht gleich die Revolution aus. «Denn die Konservativen sitzen immer noch in den Schlüsselpositionen», sagt Weber. «Es geht nun vielmehr darum, ob der sanfte Reformkurs fortgesetzt werden kann – vielleicht sogar verstärkt – oder nicht.»
Ein politischer Stimmungstest
Die heutige Parlamentswahl gilt als erster politischer Stimmungstest nach dem Mitte Juli zwischen Teheran und dem Westen geschlossenen Atomabkommen. Dreikampf
Dabei gibt es einen Dreikampf zwischen islamischen Konservativen, den Hardlinern und den Reformern um Präsident Hassan Ruhani. Das Parlament war in den vergangenen zwölf Jahren fest in der Hand einer Koalition von Konservativen und Hardlinern.
Gleichzeitig werden auch neue Mitglieder für den Expertenrat gewählt, der sowohl über die Ernennung als auch die Abwahl des obersten geistlichen Führers der islamischen Republik bestimmt. Auch der Expertenrat war in den vergangenen Jahren von Hardliner-Klerikern dominiert.
Teheran-Liste besonders wichtig
Die Wahllokale sind offiziell von 05:30 bis 15:30 MEZ geöffnet. In den vergangenen Jahren wurde die Wahl allerdings immer um einige Stunden verlängert.
Um die 290 Sitze im Parlament ringen mehr als 4800 Kandidaten, für die 88 Sitze im Expertenrat gibt es mehr als 160 Bewerber. Wahlberechtigt sind landesweit fast 55 Millionen Menschen, darunter 8,5 Millionen in der Hauptstadt Teheran. Die 30 Sitze der Hauptstadt gelten als besonders wichtig, weil die politische Elite beider politischen Lager in der sogenannten Teheran-Liste vertreten ist.
Die Reformer hoffen nach dem Sieg Ruhanis bei der Präsidentenwahl 2013 nun auch auf einen Machtwechsel im Parlament und Expertenrat.
Erste Ergebnisse am Samstag
«Nach unseren Umfragen nehmen 70 Prozent der Iraner an der Wahl teil, was ein neuer Rekord im Land wäre», sagte Innenminister Abdul-Resa Rahmani-Fasli den iranischen Medien am Donnerstag. Das Regierungsmitglied rechnet schon am Samstag mit ersten Ergebnissen.
Allerdings könne es auch Verzögerungen geben, da dieses Mal neben dem Parlament auch der Expertenrat bestimmt wird, sagte er.
Dissidenten wollen Stimme abgeben
Bei der Parlamentswahl wollen auch ein unter Hausarrest stehender Oppositionsführer und mehrere inhaftierte Dissidenten ihre Stimme abgeben. Der Sprecher des Innenministeriums, Mohammed-Hussein Moghimi, sagte zu der überraschenden Forderung: «Wir ermöglichen jedem Iraner, an der Wahl teilzunehmen.»
Er weigerte sich jedoch, auf Nachfragen klarzustellen, ob sein Ministerium den Oppositionellen und Dissidenten eine Erlaubnis erteilt oder nicht. Das Establishment der islamischen Republik hat mehrmals betont, dass alle Iraner, auch regimekritische, an der Wahl teilnehmen sollten. Andererseits wäre es ein Novum, falls inhaftierte Regimekritiker abstimmen würden.
Geschickter Schachzug
Oppositionsführer Mehdi Karrubi forderte angeblich sogar eine Wahlurne bei sich zuhause, weil er ja seit fünf Jahren unter Hausarrest steht. Die gleiche Forderung erhob Sahra Rahnaward, die Ehefrau des ebenfalls unter Hausarrest stehenden Mir Hussein Mussawi. Auch die seit Jahren im berüchtigten Ewin Gefängnis inhaftierten Dissidenten wollen nach Angaben des Nachrichtenportals Kaleme in ihren Zellen wählen.
Beobachter sehen in den Forderungen einen geschickten Schachzug der Dissidenten, um auf sich aufmerksam zu machen. Karrubi, Mussawi und die meisten inhaftierten Dissidenten hatten dem Regime 2009 Manipulationen bei der Präsidentschaftswahl vorgeworfen. Präsident Hassan Ruhani und die Reformer fordern ihre Freilassung. Die Justizbehörde und die Hardliner sehen beide jedoch als kontrarevolutionäre Dissidenten an.
Öl-Embargo traf das Land hart
Der Iran hat die zweitstärkste Volkswirtschaft im Mittleren Osten – hinter Saudi-Arabien. Doch die wegen seines Atomprogramms verhängten internationalen Sanktionen haben die Wirtschaft der Islamischen Republik hart getroffen – vor allem das 2012 von der EU verhängte Öl-Embargo.
Nach dem im Juli 2015 mit den fünf UNO-Vetomächten und Deutschland getroffenen Atomabkommen hoffen die Iraner auf Besserung. Das Land kann Öl und Gas nun wieder uneingeschränkt exportieren, Europa erwartet eine Verdoppelung des Handelsvolumens.
Mit gut 1,6 Millionen Quadratkilometern ist das Land am Persischen Golf fast fünfmal so gross wie Deutschland. 78 Millionen Einwohner machen es zu einem der bevölkerungsreichsten Länder der Region. Der Iran hat die zweitgrössten Gasvorkommen weltweit.