SRF: Wie ist die Situation in Charkow? Befindet sich die Stadt im Belagerungszustand?
Kyryl Savin: Die Lage ist erstaunlich ruhig. Als ich die Reise geplant habe, hatte ich wegen der Sicherheitssituation in Charkow Bedenken.
Die Ängste sind jetzt weg. Ich war in der Stadt unterwegs und man bereitet sich auf die 1. Mai-Demonstrationen vor – eine alte sowjetische Tradition, die hier noch lebt. Nichts ist zu sehen, was an irgendwelche Unruhen erinnert. Allerdings sieht man viele Polizeikräfte, die die Sicherheit und Ordnung garantieren sollen.
Die pro-russischen Kräfte haben in Charkow nicht die Kontrolle übernommen. Wie denkt die Bevölkerung über die Vorgänge in der Ostukraine?
Die Leute in Charkow beobachten genau, was in der Nachbarregion Donbass (Region rund um Donezk, Anm. d. Red.) los ist. Man ist aber optimistisch, dass sich so etwas in Charkow nicht wiederholt.
Die Situation hier ist anders. Charkow ist eine grosse Universitätsstadt mit 250'000 Studenten. Zudem trifft die lokale Führung vor Ort viele Vorsichtsmassnahmen, um zu verhindern, dass es in Charkow zu Verhältnissen wie in der Region Donbass kommt.
Die Übergangsregierung in Kiew will eine Abstimmung über die Einheit des Landes durchführen. Wie wird die Ostukraine darauf reagieren?
Die Abstimmung wird in der gesamten Ukraine durchgeführt. Deshalb habe ich überhaupt keine Zweifel an einer Mehrheit für die Einheit des Landes und nicht für eine Spaltung.
Politisch gesehen wird es wichtig, wie viele in der Region Donbass für eine Spaltung stimmen werden. Da erwarte ich eine knappe Mehrheit für eine Unabhängigkeit der sogenannten Volksrepublik Donbass.